Zeit der Märkte

Nun beginnt sie wieder, die Zeit der Märkte und Basare, der besonderen Zusammenkünfte in den Wochen vor dem Fest. All überall auf den Marktplätzen stehen die Buden und Betreiber mit ihren Schätzen. Was es da alles zu sehen gibt! Je nach Ausstattung und Thema gibt es - glaube ich - nichts, was fehlt.

Am liebsten sind mir die Historischen Märkte. Egal, ob sie im Mittelalter und später - oder auch manchmal früher - angesiedelt sind, sie haben einfach einen besonderen Charme. Es duftet hier viel mehr nach Punsch und Zimt, nach Ingwer und Weihrauch. Manchmal sogar nach Pferdemist, wie auf dem Weihnachtsmarkt des Museumsdorfes in Hamburg-Volksdorf. Hier ist es relativ einfach, sich in die Vergangenheit zurück zu versetzen, denn die Häuser des Museums sind originalgetreu an dieser Stelle aufgebaut. Ein Hof mit Stallungen, eine alte Bäckerstube, eine Schmiede - und alles wird wie früher betrieben. Dazu kommen ein paar Jahrmarktsattraktionen. Ein Gerber, der auch mit Pergamenten handelt, „Hau-den-Lukas" und ein handbetriebenes Kinderkarussel, das es möglich macht, sogar auf einem Schwein die Runden zu drehen und vieles mehr.

Eines der alten Häuser birgt heute eine „Geistermühle". Ein altes Weib, sehr bleich im Gesicht und mit fauligen Zähnen, hockt auf einem Dreibein vor der Tür. Sie streckt eine verfrorene knöcherne Hand aus und verlangt einen Obolus, damit die Rückkehr aus dem schaurigen Haus auch den Lebendigen gewährleistet ist, denn „alles ist voller Geister", sagt sie mit einer mageren brüchigen Stimme. Ich bin eigentlich nicht bereit, VOR dem Eintritt zu zahlen. Das macht man bei Überfahrten ja auch nicht so. Don't pay the ferryman.....!!! Aber davon will sie nix wissen und meint, sie sei schließlich kein Fährmann. Womit sie sicher recht hat. Nun, sei es drum, und so spende ich eine Münze für unser Seelenheil. Hinter der offenen Tür werden wir von einem Bruder des Quasimodo empfangen, einer traurigen Gestalt mit einer Maske aus einem Halloween-Shop. Quasimodos Bruder redet nicht, er macht nur Handzeichen. Seine Hand schimmert grünlich und mit dieser winkt er uns zu folgen. Unheimlich genug sehen die verwitterten Gegenstände aus, die im schummrigen Halbdunkel des Erdgeschosses der ehemaligen Göpel-Mühle stehen. Hier fehlt es an Wasser und Wind. Deshalb liefen arme eingespannte Pferde im Inneren des Raumes tagein, tagaus im Kreis herum. Zwischen Spinnweben und alten Säcken hindurch ging es eine steile Stiege zum Mühlenboden hinauf. Hier saß ein Müller mit gesenktem Kopf, der ebenfalls - um Abbitte für seine zu Lebzeiten verübten Schadtaten zu tun - um Münzen bettelte. Die Logik erschloss sich mir nicht unmittelbar, weshalb ich auch keine weitere Zahlung leistete. Wir hatten genug entrichtet, für was auch immer. Der Müller jammerte und stöhnte und meinte, er habe sein eigenes Weib hintergangen, das jetzt hier unten vor der Tür bis in die Ewigkeit ausharren müsse. Er selbst habe seine Seele dem Teufel verschrieben, habe seine armen Pferde geschlagen und seine Buße sei es nun, in dieser Kammer auf dem Mühlenboden seit damals und bis in alle Ewigkeit auszuharren. Mitleid ergriff uns und ich fragte, wie man seine Seele wohl erretten könne. Aber er redete nur davon, dass er schon einige Hundert Jahre da hocken würde und nichts könne ihm helfen. Na gut, dann eben nicht. Wozu dann also Münzen in seine Hand?
Wir hatten großes Glück, denn wir konnten tatsächlich wieder aus dem Haus in das helle Sonnenlicht dieses Wintertages und atmeten freie Luft als freie Besucher eines Jahrmarktes.
Dieser arme Müller! So lange schon tot und kein Ende abzusehen; zeitlos für alle Ewigkeit. Zeitlos? Obwohl der Müller uns glaubhaft versicherte, die Wunder des 20. Jahrhunderts nicht mehr erlebt zu haben, hatte ihm ein gnädiges Schicksal eine digitale Armbanduhr gegönnt. So wusste er doch immer, was die Stunde geschlagen hat.