Veränderlich

Es gibt Traditionen, die sind verstaubter als andere und manche beglücken uns. Zu bestimmten Festen in unserer Kultur oder Anlässen – was immer auch – versenden wir Grüße. An Freunde und Familie, an Mitmenschen und manchmal einfach nur als Überraschung an solche, die nie im Leben damit gerechnet haben.

Grüße per Post – wohlgemerkt. Nicht per Mail. Eine Unsitte, wie ich finde und gar nicht für Besonderes passend.

Wenn ich Post in meinen Händen halte, die jemand anderen Orts abgesandt hat, dann empfinde ich eine wohlige Wärme, die damit zusammen hängt, dass ich mir vorstelle, wo das Briefpapier oder die Karte wohl gekauft worden ist, womöglich sogar besonders gefertigt. Wo der Blick in einem Geschäft darauf fiel mit dem Gedanken: Ah, das könnte für den Anlass passen, für diesen oder jenen Empfänger.

Diese Post hat der Absender in Händen gehabt. Hat sich Worte womöglich wohl überlegt und zu Papier gebracht, hat seine Wärme eine Weile daran gehalten. Würde man eine solche Post im Labor untersuchen, so würde man noch die nur einmal auf der Welt existierende DNA darauf feststellen können. Die Fingerabdrücke vielleicht. Manchmal etwas Abdrückliches vom Kuchen, der nebenbei gegessen, vom Kaffee, der nebenbei getrunken wurde. Alles Zeichen von Lebendigkeit von Mensch zu Mensch.

 

Und dann erst die notwendigen Briefmarken auf der Post. Immer wieder andere Motive, mal passend zu den Zeiten, mal etwas einfacher, weil im Stempelverfahren des Postschalters hergestellt. Aber auch hier: Hat da nicht jemand keine Mühen und Wege gescheut, die Post auf den Weg zu bringen? Und wenn es nur der Weg zum nächsten Briefkasten gewesen ist, der just um die Ecke hängt.

Aus den Jahrhunderten, in denen Briefe verfasst wurden, legen diese lebendiges Zeugnis ihrer Zeit ab. Nicht nur die Ausdrucksweise, sondern auch das genutzte Papier, der Umschlag, in dem es steckte. Wenn ich allein an „Die Briefe“ von Oscar Wilde denke, die er im Laufe seines Lebens verfasst hat. Briefwechsel zwischen Generationen als Zeitdokumente und vieles andere mehr. Ja, die Karten selber sind häufig ein Stück Geschichte, wie man sie nicht in der Schule lernt. Sogar Sittengeschichte.

 

Wenn ich in der Winterzeit Post versende, tu ich das mit besonderer Freude und den Wünschen für einen fröhlichen Winter, für eine gute Reise durch die dunkle Jahreszeit und besonders für den haltbaren Wunsch nach Gesundheit im neuen Jahr. Weihnachten ist noch nicht einmal das Thema.

 

Ich stelle mir vor, dass meine Post den Weg über eine lange Strecke zum Ziel gefunden hat, wobei natürlich die Post selbst keinen Blick aus dem Zugfenster wirft, um zu sehen, welche Landschaften vorbeifliegen. Aber ich kann mir das ausdenken. Versende ich Post innerhalb Hamburgs, kommen die Briefe vielleicht an der Alster oder der Elbe vorbei und nehmen Wesentliches aus der Luft mit auf die Reise. Ein Brief, der weiter gesandt wird, „sieht“ eine Menge an Dingen auf seiner Reise vorbeiziehen. Flüsse und Gebirge, Landschaften der flachen Ebenen, Zauntiere und viele Menschen, die ihren Geschäften nachgehen. Und dann das Ziel beim Empfänger. Der Postbote schiebt sein Rad die Straße runter und stellt es auf den großen Fahrradständer, der verhindert, dass das Rad Schlagseite bekommt. Dann werden die Briefe verteilt. Ich bekomme einen, du und du vielleicht auch. Da wird der alltägliche Weg zum Hausbriefkasten spannend. Und es finden sich nicht nur Rechnungen darin. Denn die kommen meistens weiterhin mit der Post.


Karten um die Winterzeit finden ihren Platz auf einer Kette, die im Flur gespannt ist. Sie ist winterlich geschmückt und hat am Ende des Jahres eine bunte Mischung aus vielen verschiedenen Karten hängen. Das sieht fröhlich aus und die Karten werden immer mal wieder bewundert, gelesen und schließlich – zumindest für einige Zeit – aufbewahrt. Besondere bleiben.

Ja, so war es mal.

 

Und heute? Heute wird – vielleicht - irgendwann, wenn man sowieso am PC sitzt und mails bearbeitet, mal eben schnell eine mail hingehauen. Nix ist mit dem Von-Mensch-zu-Mensch. Keine nachhaltigen Gerüche auf dem Papier, kein Nachspüren möglich, wie es wohl war, als der Brief geschrieben wurde.

 

Klar, die Argumente für das Moderne liegen auf der Hand. Es kostet keinen zusätzlichen Cent und kaum Zeit, mails zu verschicken. Und – schwupps! - hat der Empfänger sie schon auf dem Bildschirm. Ein kurzes Lesen und ab in den Papierkorb – wobei schon dieser Ausdruck dem ganzen Hohn spricht. Wo ist hier Papier?

 

Wir müssen mit der Zeit gehen, höre ich, wenn ich das Thema darauf bringe. Müssen wir wirklich? Immer und überall? Ich fühle, dass genau in dieser Sache eine kommunikative Verarmung eintritt, auch wenn der mails heute noch so viele gewechselt werden. Aber was steht denn in ihnen? Small talk. Und selbst wenn ich die wortgeschmälerten Mails ausdrucken würde – zum Aufhängen eignen sie sich absolut nicht. Mager und minimalistisch scheinen sie mir. Vom Kopf und vom Herzen aus gesehen.

 

Schade …...

 

 

Eine bunte Mischung besonders ausgesuchter Karten
Eine bunte Mischung besonders ausgesuchter Karten