Auf dem Marie-Jonas-Platz
Gestern beim Einkaufen.
Immer per Rad - ich wäre nur halb, falls ohne.
Ich schließe also mein Rad, das sich in bestem frühlingshaften Zustand befindet, weil schon in der Generalüberholung gewesen, vor einem der Läden an, in denen ich etwas besorgen muss. Auf dem
Platz davor ist Markt. Eine der Marktfrauen steht hinter ihrem Stand und raucht. Ich fühle mehr als dass ich es wirklich sehe, dass sie mir kritisch zuschaut. Steht mein Rad im Wege? Nein. Es
steht in einem korrekten Fahrradständer vor dem Laden, in den ich muss. Ihren Blick fühle ich noch in meinem Rücken und denke: Die führt etwas im Schilde.
Aber egal, ich muss ja nur ganz kurz rein und wieder raus.
Gesagt, getan.
Ich komme zurück, schließe das Rad wieder ab (Ab? Auf? Keine Ahnung) und ziehe es aus dem Ständer. Es ist schon ziemlich bepackt und ziemlich - PLATT! Vorderrad! Luft raus. Ich denke, nanu, wie
kommt denn solches? Grad war noch alles o.k.
Ich muss noch weiter und Dinge besorgen, was ist zu tun?
Ich beschließe also, fdas Rad vorerst zu schieben - anders geht's sowieso gar nicht - und den nächsten um eine Luftpumpe zu bitten, denn ich glaube, dass das Ventil aufgedreht wurde. Es fühlt sich ein wenig locker an. Reine Spekulation wäre es, die kritisch dreinblickende Marktfrau ins Kalkül zu ziehen.
Ich habe Glück. Ein paar Schritte weiter winkt es mir in Gestalt eines ziemlich alten Rades, welches den Luxus einer Pumpe besitzt. Der dazu gehörige Radfahrer ist ähnlich alt, was keineswegs abwertend gemeint ist. Er wirkt ungepflegt, zerzaust, aber er hat eine Luftpumpe bei sich und ich frage höflich an, ob ich sie mir mal ausleihen könne. Aus kleinen müden Augen sagt er: „Aber selbstverständlich, gnädige Frau." (das bin ICH!!!) und reicht mir - ganz Kavalier der alten Schule - die Pumpe mit einer Verbeugung. Riechen tut er auch nicht gerade wie der junge Maimorgen, aber er trägt einen Seidenschal um den Hals, der sicher ein Erbstück ist und aus schonungstechnischen Gründen lange keine Waschlauge mehr gesehen hat.
„Na", sagt er weiter, „haben wir ein kleines Loch?" Und grinst dabei mit solchen schlechten Zähnen, dass es seine Art hat.
Während ich schon anfange zu pumpen, redet er weiter.
„Die Verrohung nimmt allerorten zu. Aber ich weiß, woher das kommt. Diese Ausländer verderben unsere Jugend. Bin froh, wenn die alle wieder weg sind. Aber, meine Liebe, Sie pumpen ja wie gelernt. Rein und raus, rein und raus." Und sein gelbes löcheriges Lächeln ist nicht einen Deut schöner geworden.
Ich will dem Ganzen eine gewisse Leichtigkeit geben und mich nicht in diese bösen Diskussionen verwickeln lassen und sage: „Jahrelang selbst Pumpe gewesen."
Nun bekommt er aber Fahrwasser und fängt an, alles in Grund und Boden zu verdammen, was nicht von hier ist. Schrecklich.
Ich merke, wie ich mich beherrschen muss, aber ich werfe ein, dass man doch nun nicht alle über einen Kamm scheren kann/soll/darf - ich bin ja noch höflich, weil er mir schließlich die Pumpe geliehen hat.
Ich stelle auch fest, dass tatsächlich das Ventil geöffnet worden war, denn die Luft geht gut rein und hält. Es muss diese „Dame" vom Markt gewesen sein. Sie hat bestimmt gedacht: 'Diese Frau kann einkaufen gehen, während ich hier hinter meiner Marktbude (Gemüse) stehen muss' oder so ähnlich. Aber ich weiß es eben nicht 100%ig.
Der Mann mit den schlechten Manieren meint: „Sie sehen es ja selbst; nun hat jemand Ihr Rad kaputt gemacht."
Weil er die ganze Zeit so laut dummes Zeugs redet, von dem ich 90% gleich wieder aus meinem Gedächtnis gestrichen habe, hat sich eine weitere Passantin zu uns gesellt, die er nun auch direkt anspricht. Ausgerechnet so eine auf jung getrimmte in Silbergrau, das Haar betreffend und rosa Wangen a lá der leider schon von uns gegangenen Queen Mum. Sie (also diese Dame, nicht die Queen Mum!) pflichtet ihm bei und gibt zu allem Überfluss auch noch ihren Senf dazu. Immer kräftig druff, nicht? Da haben sich ja zwei gefunden.
Dann bin ich mit meiner Pumparbeit fertig und gebe das Geliehene mit Dank zurück. Er pöbelt weiter, erzählt die haarsträubendsten Geschichten von Dritten, die jemanden kennen, der irgendwas erlebt hat.
Da sage ich zum ihm (und zu der Gesinnungsgenossin): „Ja, so ist das. Es gibt zwei Wahrheiten. Die Erde ist eine Scheibe und die Dummheit stirbt aus."
Nun schaut er mich aber wirklich strafend an und sagt: „Nein, nein, da muss ich widersprechen. Die Dummheit wird nie aussterben."
Hmm, zu der Erdscheibe hat er keine Widersprüche.
Ich verabschiede mich ohne weitere Kommentare und fahre auf schwer erpumpter Luft meinen eigenen Geschäften nach.