Bruder , lass den Kopf nicht hängen.....
kannst ja nicht die Sterne sehen....

Dieses alte Volkslied geht mir manchmal durch den Kopf, wenn ich auf der Straße meinen Mitbürgern und Mitbürgerinnen begegne, die mir alle mühsam und beladen vor- und entgegenkommen.
Den Kopf nach unten gebeugt, die Schultern verspannt, nicht rechts noch links schauend. Keine Augen für die Schönheit der Umgebung, keine Ohren für die lieblichen Gesänge der Vögel in den Sommer-Kronen der Stadtbäume. Noch nicht einmal Blicke für niedliche kleine Hunde, die die Gehwege bevölkern. Häufig sogar Gefahr laufend, mit Fahrrädern oder gar mit Autos zu kollidieren. Was ganz schlecht ausgehen kann.
Was ist nur mit ihnen geschehen, also mit den besagten Menschen, die mit hängendem Kopf durch die Straßen schleichen. Was mag das Schicksal mit ihnen getan haben. Wer hat sie so verletzt, dass sie nicht mehr empfänglich sind für andere und für das schöne Hamburg, die Stadt, in der sie wohnen? Fraglich, ob sie es überhaupt noch wahrnehmen.
Selbst am in diesem Jahr dschungelgleich wuchernden Alsterufer wird ihre Stimmung nicht aufgehellt. Sie überqueren eine der zigtausend Brücken über Alster und Fleete und haben nicht das geringste Interesse an den unter ihnen vorbeiziehenden Booten. Die Schwanenweißen und die Teichhühner schwimmen in Formation majestätisch, aber total unbeachtet – fast wäre es egal, ob sie es tun oder nicht. Ich meinerseits möchte den Erdwärtsblickenden aufmunternde Worte zurufen, ein Lächeln auf ihre Gesichter zaubern; allein, wie kann das gehen, wenn sie gar nicht hochschauen? Alt und Jung. Ist es eine ansteckende Krankheit, eine Seuche gar? Ich versuche, eine Gemeinsamkeit festzustellen, die vielleicht äußerlich erkennbar ist. Wie zum Beispiel bittere Armut, festzumachen an zerlumpten Mänteln und anderen Bekleidungsstücken. Aber dem ist nicht so. Mein Blick hat sich für diese armen Menschen schon geschärft. Zumindest der äußere Schein spricht gegen eine bittere Notlage. Keine bebenden Schultern, weil sie weinen müssten. Kein Schluchzen ist hörbar. Nur diese stumpfsinnige Haltung, mit der sie durch ihren Alltag schleichen.

 

Ich habe vor, mich mit anderen, die dieses Phänomen wie ich erleben, auszutauschen. Aber ich finde niemanden, der mir zustimmt.
So werde ich genauer hinschauen, um vielleicht das Rätsel zu lösen. Das Rätsel der hängenden Köpfe und Schultern. Es muss doch mehr dahinter stecken, als das Display eines Smartphones.

 

©Margret Silvester
12.07.16