Papier von zahlreichen Weihnachtsgeschenken, ausgediente Tannenbäume, leere Sektflaschen von der Silvesterfeier, Konfetti festgehakt im Teppich, überquellende Altpapier-Container, leere Versprechungen und gute Vorsätze... Wie haben Sie das neue Jahr begonnen? Sind Sie etwa mit Müll aus 2009 in die nagelneue Zeit gestiegen?

Die vielen freien Tage um die Weihnachtszeit und den Jahresbeginn – so hatte ich mir vorgenommen – werde ich dazu nutzen, mal kräftig zu entrümpeln. Und wenn man erst einmal anfängt, findet man lange kein Ende. So ist das bei mir.

Entmüllen heißt die Devise. Das schafft Erleichterung in der Seele und Platz in der Wohnung. Sagt Fengh Shui. Darüber sind ganze Bücher verfasst worden. Und ich glaube auch, dass es stimmt. Ich kann in einem verkramten Zimmer nicht arbeiten. Zumindest bestimmte Bereiche müssen übersichtlich sein. Allen voran die Bücher. Sonst findet man ja nichts wieder.

Was lag also näher, als mit den Bücherregalen in meinem Zimmer beim Entrümpeln anzufangen?

Meine Regale quollen allmählich über und vom Schreibtisch war oberflächlich nichts mehr zu sehen. Also her mit leeren Kartons und „entsorgt“. Ich hatte mir dazu zwei Tage angesetzt. Zwei ganze Tage. Am ersten Tag wollte ich die Bücher, die ich nun wirklich nicht mehr ein zweites Mal in die Hand nehme, geschweige denn lese, einpacken und auf den Dachboden verbannen.

Das erste Regal enthielt lauter Nachschlagwerke. Die brauch ich natürlich ständig beim Schreiben und z.B. Rätselraten und was dergleichen mehr ist. Ich beschloss daher, dieses Regal nur zu entstauben und die Bücher fein säuberlich sortiert, wieder aufzustellen.

Angefangen hatte ich gleich nach dem Frühstück und war so gegen 13.00 Uhr damit fertig. Schön, nun konnte ich gleich nach dem Mittagessen das zweite Regal in Angriff nehmen.

Wie? Ach so, Sie fragen, wie ich für ein Regal so viel Zeit verschwendet hätte? Das will ich Ihnen gern näher erläutern, wenn Sie eine Minute Zeit haben.

Es ist ja nicht sooooo einfach, Nachschlagwerke in die Hand zu nehmen, sie zu entstauben, aufzublättern und wieder hinzustellen. Da stößt man doch auf das eine oder andere Wort, dessen Bedeutung man schon lange mal genauer erklärt haben wollte. Haben Sie schon mal das Lexikon-Spiel gespielt? Es ist sehr unterhaltend, wenn die Spielerrunde aus Menschen mit Humor besteht. Da haben alle einen Zettel und einen Schreiber in der Hand und einer in der Runde hat ein Nachschlagwerk, am besten einen Volksbrockhaus oder ähnlich. Der schlägt nun ein Wort auf, welches niemand in der Runde kennt – aber nicht Schummeln! Nun liest er das Wort laut vor, und zwar ohne die dazu gehörige Erklärung, versteht sich. Wissen Sie, was ein „sisley“ ist? Na gut, wenn ja, müssen Sie es zugeben. Sonst macht es keinen Spaß. Falls es aber niemand in der Runde weiß, denkt sich jeder eine Erklärung für das Wort aus und schreibt diesen Text in der Manier der Nachschlagwerke auf.

Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel:

Sisley, das, n, aus dem Englischen stammendes Wort,

umggssprl. für „sisters left eye“;

gebräuchlich bei Familien in Nordirland,

die mehr als acht Kinder haben

(so oder ähnlich könnte die Erklärung des nichtwissenden Spielers lauten).

Es kommt eben darauf an, nicht zu ernsthaft zu sein, aber auch ein bisschen glaubhaft den Begriff darzustellen. Der Mitspieler mit dem Lexikon und der korrekten Begriffserklärung schreibt diese nun auch auf ein Blatt. Wenn alle ihre eigenen Erklärungen nieder geschrieben haben, werden die Blätter eingesammelt und der Spieler mit dem Lexikon liest sie vor. Dann müssen alle in der Runde nacheinander die richtige Erklärung heraus finden. Für das richtige Finden gibt’s einen Punkt. Und jeder, dessen Erläuterung als richtig gewählt wurde, erhält ebenfalls einen Punkt. Einen weiteren Punkt kann man z.B. für die Erläuterung geben, bei der am meisten gelacht wurde (kann auch manchmal die richtige sein!). In der zweiten Runde wechselt das Lexikon dann zum nächsten Spieler, der ein neues Wort sucht.

Aber wie bin ich nun eigentlich auf das Lexikon-Spiel gekommen? Ach so, Sie haben sich gewundert, wie viel Zeit ........

Im zweiten Regal konnte mir das nicht passieren. Da hatte ich Bücher der Richtung „Lyrik“ stehen. Das dürfte nun schneller vonstatten gehen. Ich war gegen Abend damit fertig und habe allerhand aussortiert. Die Aussortierten habe ich gründlich angesehen. Und was dabei alles wieder aufgetaucht ist. Mein altes Schulbuch „Von guten Mächten“. Da musste ich gleich mal nachsehen, ob ich die „Sünderglocke“ noch parat hatte? Ach, und „Belsazar“ – lange nicht gelesen. War aber spannend. Dann stieß ich auf ein Gedicht, welches eine Freundin von mir schon lange suchte. Ich habe sie also gleich angerufen und es ihr in den Hörer diktiert. Alle zehn Verse. Die hat sich gefreut. Sie hat mir dann noch von ihrer Weihnachtsfeier bei den Eltern in Bayern berichtet. Da war ein großes Treffen der gesamten Familie. Ich kenne ein paar davon, deshalb habe ich mit viel Interesse zugehört und nachgefragt.

Nach und nach sind die durchgesehenen Aussortierten in ein anderes Regal gewandet. So was kann man doch nicht auf den Dachboden verschleppen.

Am nächsten Tag bin ich frisch ans Werk und ans nächste Regal. Die Belletristik-Bücher haben eine Ewigkeit gedauert. Von was trennt man sich, was behält man? Das war sehr schwierig. Deshalb habe ich immer mal zwischendurch eine kurze Lesepause eingelegt. Es gibt spannende Lektüre, kann ich Ihnen erzählen. Selbst Bücher, die man schon gelesen hat. Bestimmte Passagen „ja, genau, so war’s“. Dieser Wiedererkennungs-Effekt. Aber bei einigen habe ich mich sehr gewundert, dass ich nicht mehr wusste, um was es dabei geht. Die liegen jetzt alle auf einem kleinen Tisch zur Nach(t)studie. Ich konnte sie ja nicht alle am Aufräumtag lesen.

Der Clou fand sich allerdings im letzten Regal – ganz hinten, noch hinter „Die schwarze Sonne“ von Marguerite Steen, einem Werk im Umfang von 1041 Seiten, eng bedruckt; eine spannende Familiengeschichte aus der Kolonialzeit. Als ich es las, muss ich etwa 14 Jahre alt gewesen sein und lernte dabei, was ein Hahnenkampf ist und dass Mädchen als Sklavinnen verkauft werden konnten. Lesen bildet. Jedenfalls stand hinter diesem Buch an die Regalrückwand gelehnt mein liebes altes Poesie-Album! Grün mit Goldrand und einer aufgeklebten Mickey-Maus. Ich habe es – und das lässt sich an den Versdaten ersehen – um meinen 12. Geburtstag erhalten. Nun musste ich mir erst mal einen Kaffee aus der Küche holen und mich in meinen Lieblingssessel setzen. Ich habe mir die Verse alle durchgelesen und in meiner Erinnerung gekramt. Einige Namen wurden zu Gesichtern, andere verblassten beim näheren Hinsehen. Meine beste Schulfreundin Elke schrieb mir ins Poesie-Album folgende Worte:

Liebe, Freude, Leid,

alles hat seine Zeit,

nur das eine nicht und das heißt

Vergissmeinnicht.

Ein paar Tage später prügelten wir uns und ich trug eine schlimme Blessur davon. Na ja, sie auch.

Meine Patentante Gretel, die mich später enterbt hat, wusste schon, weshalb sie mir diese Worte schrieb:

Zufrieden sein ist eine Kunst,

zufrieden scheinen bloßer Dunst,

zufrieden werden großes Glück,

zufrieden bleiben Meisterstück.

Und wie wahr einige Dreikäsehochs schon das Leben durchschaut hatten. Reschida – die kleine Tochter unserer jugoslawischen Nachbarn – klebte ein Herzchen auf das Blatt und schrieb mit sauberer Kinderhand

Wenn du erst groß bist, dann siehst du es ein,

wie schön es war, ein Kind zu sein!

Toll, was?

Was soll ich Ihnen sagen: Die zwei Tage, die ich für die Entrümpelung angesetzt hatte, sind wie im Fluge vergangen. Sehr kurzweilig, übrigens. Ein bisschen weniger Staub liegt jetzt auf meinen Büchern, ansonsten – fürchte ich – ist so ziemlich alles beim alten geblieben.

Aber es wird schon noch ein Wochenende geben, an dem ich dazu komme, den Altjahresmüll zu entsorgen. Im nächsten Jahr vielleicht wieder mal.

Und Sie? Nehmen Sie den Altjahrsmüll mit in das Neue?

Herzliche Grüße