Flohmarkt - lohnt nicht

Ich kann es nicht lassen und tu es mir immer wieder an, obwohl ich aus den letzten Jahren wirklich klüger geworden sein müsste. Viel Aufwand, viel Zeitinvestition und über die Standgebühr hinaus kaum Gewinn. Nun, einen Flohmarkt darf man nicht nur von der Seite her betrachten; ein eigener Stand auf einem dieser Stadtteil-Flohmärkte hat durchaus anderes zu bieten: Stoff aus Studien der anderen Betreiber und der Kundinnen (vor allem).

Jedenfalls ziehe ich immer wieder nach dem Flohmarkt-Geschehen den Schluss: Nie wieder! Und dann tu ich es doch. Irgendetwas muss in meinem Bauplan vorhanden sein, dass ich immer wieder meine, daraus Nutzen ziehen zu können.


Beginnen wir den Tag damit, dass der Aufbau ab 9.30 Uhr losgehen soll. Ab 11 Uhr soll Einlass für die Kunden sein. Ich erscheine mit meinem Sack und Pack (ich will es gar nicht Krempel nennen, denn ich habe einiges dabei, was zumindest einen Versuch wert ist) gegen 10 Uhr und alle sind schon mit ihrem Aufbau fertig. Wie das? Auch mein Tisch ist schon belegt – weil sie dachten, ich käme nicht mehr. Häh? Es ist gerade mal 9.50 Uhr! Und dann fällt mir auf, dass der Laden (also ein In-door-Flohmarkt) gerammelt voll ist. Nein, nicht die anderen Marktbeschicker, sondern Kunden; selbige, die erst ab 11 Uhr rein dürften. Auf Nachfrage erhalte ich die Antwort, dass sie „eben nicht zu halten“ waren. Kommt mir bald so vor wie beim Winterschluss-Verkauf der frühen Jahre, als die Satire noch ihren Spaß an Zeichnungen mit „ältlichen Damen“ hatte, die sich um Handtaschen und ähnliches schlugen – mit den besagten Handtaschen womöglich.


Aber zurück zum Anfang. Ich beeile mich, meine Schönheiten und Gräuel auf einem hübschen Tuch auszubreiten (die Dinge, die den Tisch schon besetzt hatten, mussten fortgeräumt werden; sehr zum Ärger der Nachbarin, die ein wenig mehr Platz gut hätte gebrauchen können – aber nicht mit meinen Standgebühren. Wo kommen wir denn dahin!).

Kaum, dass ich in Ruhe die Artikel aufstellen kann, schon grabschen eilige Hände danach und ich bin versucht, ihnen auf die Finger zu schlagen. Sowas macht mich aggressiv, diese Art der Gier. Als ob 11 Uhr nicht zeitig genug wäre!

Irgendwann habe ich es auch geschafft. Ein paar Kerzen in hübschen Ständern machen meinen Tisch ansehnlich und ich setze mich hinter meine Schätze, harrend darauf, dass die Käufer nun aber in Scharen kommen. Um es vorweg zu nehmen: In der Zeit zwischen 10 und 11 Uhr – also noch vor offizieller Eröffnung – kommen sie. In Scharen; danach eher kleckerweise.

Da ist beispielsweise dieser Mann unbestimmten Alters, hager und verwegen, mit einem offenen lose gebundenen Schal in Altrosa auf nackter Brust (er hat natürlich noch weitere Kleidung an, versteht sich). Eine randlose Brille und zerwühltes schütteres Haupthaar legten vorurteilsfrei den Schluss nahe, es handele sich um einen Intellektuellen aus der Nachbarschaft – es mangelt unserem Wohnviertel keineswegs daran.

Er greift sich ein Sachbuch über Mediation. Neuwertig, ein paar Jahre alt. Er besieht es von hinten und vorn, blättert sich durch die Seiten, bleibt an der einen oder anderen hängen, vertieft sich mitsamt seiner Brille in die Mitte des Buches.

Wie viel wollen Sie dafür haben?“ fragt er, lauernd und schon auf dem Sprung, den Preis in jedem Fall als zu hoch zu empfinden. Nun gut, es ist eben Flohmarkt und ich bin darauf gefasst.

7 Euro“, sage ich mit fester Stimme.

7 Euro! Das ist ein stolzer Preis für ein gebrauchtes Buch.“

Hatte ich erwähnt, dass es neuwertig war? Ich habe es für ein Referat benötigt und quasi nur einmal gelesen. Und ich habe alle Buchstaben darin belassen!

Machen Sie mir ein Gegengebot. Handeln ist erlaubt.“

Dreist nennt er seinen Preis: „3 Euro.“

Ha! Ich sage: „Geben Sie mir 6 Euro und das Buch gehört Ihnen.“

Nun beschaut er sich das Buch noch einmal. Eine Art Ritual, vermute ich. Vorne und hinten, in die Mitte, blättert die Seiten durch und stellt dann fest: „Aber es ist eine Auflage von 2001.“

Na und?“ sage ich, „gegenüber der Auflage von 2009 hat sich so gut wie nichts geändert. Die habe ich nämlich auch. Weshalb ich nun diese hier verkaufe.“

Und dann entdeckt er den Namen des Verlages. Den findet er nicht gut. Den Verlag. Er macht ein paar abfällige Bemerkungen.

Das ist der Zeitpunkt, wo mein Buch beginnt, mir Leid zu tun und ich es nicht mehr verkaufen will, zumindest nicht an ihn. Ich nehme es ihm aus der Hand und sage:

Sie haben noch bis 17 Uhr Zeit, es sich zu überlegen. Wenn ich es zwischendurch anderweitig verkaufe, ist es eben weg.“

Er schaut mich an, als wolle er sagen: „Das ist kein Verkaufsgebaren.“

Nein, vielleicht nicht. Aber so bin ich. Ich lege das Buch wieder gut sichtbar an seinen Platz.

Es dauert keine 10 Min, da ist besagter Herr wieder bei mir.

Na, da liegt es ja noch“, stellt er fest., „wollte wohl noch keiner haben.“

Wenn mich nicht alles täuscht, hat er ein zu süffisantes Lächeln aufgesetzt. Schauspieler!

Ich sage nichts, sondern lächle meinerseits, aber freundlicher.

Er greift sich das Buch wieder. Ich merke es, er will es haben.

Er sagt: „Gut. Ich gebe Ihnen 5,50 Euro.“ und zückt schon seine Börse.

Aber nicht mit mir. Neee!!!

Ich sage: „Der Preis ist inzwischen gestiegen. Ich verkaufe es jetzt für 10 Euro.“

Ha!!!

Jetzt ist er wirklich verblüfft. Irritiert schaut er durch seine randlose Brille und verzieht das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen.

Und wieso ist es jetzt teurer? Vorhin wollten Sie 7 Euro dafür haben.“

Ich: „Geben Sie mir 7 Euro und das Buch wechselt sofort den Besitzer.“

Und er zahlt die 7 Euro. Irre. Total irre!


Ich besorge mir einen frischen Kaffee und warte auf weitere Kunden, die mir Spaß machen werden.

Es dauert nicht lange (ich warte hier nicht mit all denen auf, die anschauen und auch kaufen, sondern erzähle nur von jenen, die sich in mein Gedächtnis gebrannt haben), da tritt eine ältliche Dame vor meinen Stand. Sie hat ein fesches Filzhütchen auf dem Kopf, lächelt verschmitzt aus lustigen Augen. Eine gefütterte Jacke hält sie warm und das ist auch notwendig, denn unter der Jacke sehe ich ein knielanges geblümtes Sommerkleid aus durchsichtigem Chiffon (wir haben Februar!); nackte Beine schauen darunter hervor und die Füße stecken in gefütterten halbhohen Hausschuhen, denen der Verschluss fehlt, weshalb die Füße bei jedem Schritt nahezu heraus schlappen aus den Schuhen. Links schleppt sie einen halb aufgeklappten rosafarbenen Kinderschirm mit Badeenten-Motiv und rechts eine große Plastiktüte, die ahnen lässt, dass der Inhalt voluminös ist. Als sie vor meinem Stand Halt macht, öffnet sie diese Plastiktüte und fragt mich verschwörerisch wie Schlemihl aus der Sesamstraße beim Verkauf eines A, ob ich Interesse an einem Pelz habe. In der Tüte ist unzweifelhaft ein Pelzmantel aus dichtem grauen Fell. Ich bedaure. Nein, ich würde weder Pelz tragen, noch kaufen. Weiter mache ich keine Ausführungen. Sie tut mir irgendwie Leid. Aber sie ist nicht traurig über die Absage. Sie erklärt mir, dass sie den Pelz nicht brauche. Sie käme gut mit der Jacke zurecht und würde ohnehin immer schwitzen. Tapfer geht sie von Stand zu Stand und erfährt überall Absagen. Manche machen blöde Bemerkungen. Das ist nicht nett.

Um es vorweg zu nehmen: Sie hat auf dem ganzen Markt kein Glück, kommt aber später ohne die Plastiktüte wieder und erklärt mir auf meine Frage, ob sie erfolgreich gewesen sei, dass sie sie an einem Stand „deponiert“ habe, um sie nicht weiter mitzuschleppen. Dort habe man ihr den Tipp gegeben, wo man in Hamburg Pelz verkaufen könne. Da will sie es dann nächste Woche versuchen. Eine freundliche Besucherin. Sie erklärt mir weiter, dass sie heute mal „ganz ohne Kauflust“ sei und deshalb auch bei mir nichts kaufen werde. Das sagt sie in einem so netten fröhlichen Ton. Wunderbar.


Irgendwann im Laufe des Tages habe ich wieder eine Dame am Stand. Kein Wunder bei rd. 85% weiblicher Besucher. Ist ja schließlich ein Frauenflohmarkt. Mager sieht sie aus, die neue Kundin, mager und lang. Ihr Alter kaum richtig schätzbar. Sie greift sich mit dünnen Spindelfingern, die mich an „Zwerg Nase“ erinnern – also an die Alte, die zu Beginn auf dem Markt dort erscheint und das Gemüse am Stand prüft – eine kleine Mokkatasse aus der Serie „China Blau“ und sieht sie von allen Seiten an. Die Tasse ist eine Mokkatasse; unzweifelhaft, und deshalb recht klein. Nicht viel daran zu sehen. Aber sie dreht und wendet die Tasse, sieht in sie hinein – nein, es ist nichts darin -, dreht sie auf den Kopf, liest, was unter der Tasse steht und angelt sich aus ihrer Handtasche eine Lupe. Das Geschehen wiederholt sich. Dieses Mal mit der beleuchteten Lupe. Was sucht sie nur? Der Goldrand und das Blau des Musters sind völlig unbeschädigt. Aber ich fürchte, wenn sie die Tasse noch länger hin und her wendet, wird das die längste Zeit der Fall gewesen sein. Oh, nun stellt sie die Tasse wieder ab und greift sich den dazugehörigen kleinen Teller.

Der gehört aber nicht dazu“, sagt sie, „dieser Unterteller.“

Warum glauben Sie das?“ frage ich sie, „Sie können sicher sein, dass beides zusammengehört.“

Sie wiederholt die Prüfung mit der Lupe.

Dann fragt sie, was die Tasse kosten soll. Ich nenne den Preis und sie fragt: „Für Tasse und Unterteller?“

Ja, genau. Für beides.“

Nun stellt sie beides wieder hin, nachdem sie sich noch einmal ausführlich damit beschäftigt hat und geht ihres Weges. Hätte sie die Teile gekauft, wenn der Preis nur für einen Teil bestimmt wäre?

Keine Ahnung. Die Leute machen komische Sachen.


Was sich ganz gut verkaufen lässt, sind DVDs. Aber auch hier mache ich ein paar merkwürdige Erfahrungen. Ich habe ein paar DVDs dabei, die noch eingeschweißt sind. Also NEU! Das macht die Leute misstrauisch.

Ach,“ sagt die eine, „die ist ja noch versiegelt. Da kann man ja gar nicht reinschauen, ob die in Ordnung ist.“ Ja, das hat was. Vielleicht. Ich bedauere. Ich werde die Hülle nicht öffnen. Der nächste kommt und beanstandet das dann wieder.

Ein junger Mann in Begleitung eines jungen Mädchens möchte Tipps, welcher der Filme sehenswert ist.

Ich nehme die DVDs und schaue sie durch und empfehle den einen und anderen. Letztendlich suchen sie sich aber einen aus, den ich nicht empfohlen habe. Das ist eine Logik!


Kurz vor Ende des Flohmarktes kommt eine Kundin, leichenblass das Gesicht und gekleidet wie von gestern, von ganz weit gestern, mit einem Stiefel vom Nebenstand und fragt, ob sie den „mal kurz hier anprobieren“ könne. Neben meinem Stand steht noch ein freier Stuhl, also frei ist der gerade nicht, sondern von einer Freundin besetzt, die mich besucht. Aber natürlich steht sie auf und tritt zur Seite. Die Kundin zieht ihre Schuhe aus (Schwaden eines markanten Geruchs wabern um uns) und probiert den Stiefel an. Sie steht auf und macht ein paar Schritte. Der Dialog, der sich zwischen ihr und der Noch-Inhaberin der Stiefel abspielt, ist druckreif.

Sie fragt, welche Schuhgröße es wäre. Größe 39, es seien Stiefel, von ihr selbst nur einmal getragen. Ein Fehlkauf, da sie der Vorbesitzerin zu groß waren. Die Kundin meint, sie habe Gr. 39 und das sei aber merkwürdig. Denn der Stiefel würde genau passen.

Es sei ja auch Gr. 39, wiederholt die Verkäuferin.

Aber wieso die dann zu groß seien?

Mir sind sie zu groß; weil ich Gr. 38 habe und dachte, ich müsse die Stiefel eine Nummer größer kaufen – wegen dicker Socken im Winter.“

Die Kundin läuft wieder ein paar Schritte. Wir sind uns alle einig, dass die Stiefel topp sind und geben diese Einschätzung auch von uns.

Sie wiederholt: „Ich habe aber Gr. 39. Wieso passt mir der Stiefel?“

„““

Nun möchte sie den anderen Stiefel auch probieren und alles atmet erleichtert auf. Auch meine Freundin, die gern wieder sitzen würde.

Jetzt fragt die Kundin nach einem Schuhanzieher, was wir bedauern. Keiner hat einen dabei.

Die Kundin zieht den Stiefel ohne Mühe und ohne Schuhanzieher an und den Reißverschluss des selbigen hoch. Nun geht sie wieder ein paar Schritte den Flur hinunter, zwischen den Ständen durch und ist verschwunden.

Toll!“ meint die Noch-Besitzerin, „das war es wohl.“

Keine Angst, die hat ihre eigenen Schuhe ja hiergelassen und einen Beutel mit Inhalt.“

Und wenn sie ihre alten Schuhe nicht mehr will?“

Aber sie will, denn sie kommt nach einer Viertelstunde zurück, setzt sich wieder hin und zieht die Stiefel aus.

Also das geht nicht. Ich habe Gr. 39. Die Stiefel passen nicht.“ Nun doch nicht? Sehr seltsam. Und nun bleibt sie auf dem Stuhl sitzen, fängt eine Unterhaltung mit sich selbst an und schaut nach hinten in einen Spiegel. „Wie sehe ich aus?“ möchte sie von mir wissen oder auch von sich selbst. Ich antworte nicht. Sie will die Wahrheit ohnehin nicht hören. Und ich will, dass sie den Stuhl verlässt. Gefühlte 127 Stunden später geht sie tatsächlich – ohne Kauf.


Kurz darauf packen wir alle unsere Siebensachen wieder ein und schlurfen nach Hause.

Den Sonntag über bin ich damit beschäftigt, alles Nichtverkaufte wieder dem übrigen Haushalt zuzuordnen.

Nie wieder Flohmarkt. Es lohnt sich nicht, wenn man die finanzielle Seite betrachtet.