Vom Wert der Bienen

Der Tag war lang und ich nicht mehr ganz bei mir. Dazu verfalle ich immer in eine Art Suppenkoma, wenn ich mit Müdigkeit in den Augen und Schlaffheit in den Gliedern zu später Stunde - für ein Abendessen - zu Abend esse.

In dieser Situation befand ich mich vor ein paar Tagen und überlegte gerade, ob ich schon mein Bett aufsuche oder doch noch etwas Produktives zum Abschluss eines vollgepfropften Tages leisten solle.


Es klingelte an der Haustür. Meine erste Überlegung war, gar nicht darauf zu reagieren. Aber dann kommen ja sofort Zweifel, es könne jemand aus der Nachbarschaft sein, der Hilfe benötigt oder es steht vielleicht der Herr von der Lottogesellschaft oder der “Platz-an-der-Sonne”-Typ mit Koffern voller Geld vor der Tür.

Also frage ich: Wer ist da?

Und eine weibliche etwas tragisch anmutende Stimme bittet darum, die Störung zu entschuldigen und fragt mich, ob sie mir was “vom Wert der Bienen” erzählen dürfe.

Nun habe ich überhaupt gar nichts gegen Bienen. Das ist ein nützliches Völkchen und obendrein stehen sie unter Naturschutz. Ich halte wirklich viel davon, zumal ich auch sehr gern Honig esse. Den guten unbelasteten. Ich würde mir selbst ein Bienenvolk im Garten halten, würde ich nicht in einer Nachbarschaft wohnen, die schon einzelne Wespen für Monster hält.

Aber Bienen? Diese kleinen Summer mit den Beuteln an den Beinen sind mir regelrechte Freunde. Ich habe ihre Art schon in x-Gedichten und Geschichtchen geehrt. Und sie sind so nützlich. Ohne die Bienen gäbe es gar keine Befruchtung bei den vielen Obstbäumen, die unser schönes Altes Land bewachsen. Also, weshalb sollte ich nicht etwas dazu lernen?

Es war auch mehr so ein Reflex, der mich resp. Meinen Finger dazu brachte, den Summer zum Tür öffnen zu drücken.

Herein schritt (man spricht immer dann vom Schreiten, wenn jemand große Schritte macht und dies auf eine recht langsame Fortbewegungsart) eine Frau mittleren - besser gesagt - undefinierbaren Alters, mit einem grauen Mantel bekleidet und mit einer großen schweren Umhängetasche behängt. Ihre Beine lugten unter dem Mantelsaum hervor und sie trug in ihren braunen Halbschuhen tatsächlich gelbschwarz geringelte Socken. Ohne Witz! Das passte durchaus, wie ich fand. Sie nahm ihre Aufgabe bestimmt sehr ernst und identifizierte sich mit dem kleinen gestreiften Völkchen.

Sie blickte mich mit einem etwas eingefrorenen Lächeln an und streckte mir die Hand entgegen. Kurz überlegte ich, ob ich sie herein bitten solle, aber ließ es dann. Wer weiß, vielleicht gefällt mir ihr Vortrag gar nicht und dann werde ich sie nicht wieder los.

Also blieben wir in der Tür stehen.

Sie begann mit den Worten: Der Herr ist mein Hirte.

Na schön, wie immer auch.

Ich: So, Sie wollen mir also den Wert näher bringen?

Sie: Ach ja, die meisten Menschen wollen heutzutage ja nichts mehr davon wissen.

Ich: Ich schon. Ich esse sehr gern Honig.

Sie: Ja, das ist doch etwas sehr Schönes. All dies Gute kam mit der Schöpfung.

Ich: Auch die Bienen....

Sie: Ja, auch die Bienen. Und die Vögel unter dem Himmel. Sie werden ernährt, obwohl sie nichts tun.

Das war etwas, dem auch ich nacheifern würde, wenn man mich ließe. Ich aber muss für meine Nahrung schwer arbeiten.

Ich: Ja, so unterschiedlich ist es. Aber kommen wir nun zu den Bienen. Woran hauptsächlich machen Sie deren Wert fest?

Sie runzelte ein wenig die Stirn.

Sie: Ja, eh, bei den Bienen.... sie geben den Honig.

Ich: Na, das freut mich aber, dass wir das nun klar haben. Und weiter?

Sie: Es heißt - Mir wird nichts mangeln.

Ich: Meinen Sie nicht auch, dass das nun nicht unbedingt nur an den Bienen liegt?

Sie (ganz eifrig): Nein, nein, gewiss nicht. Vielmehr liegt es an unserem HERRN.

Ich: An Ihrem Imker?

Sie: Imker?

Ich: Sie wissen schon, der, der die Bienen züchtet.

Sie schaute mich nun sehr verwirrt an.

Sie: Züchten Sie denn Bienen?

Ich: Nein, aber ich würde es gern. Nur - der Platz ist nicht geeignet. Ich hoffte, Sie könnten mir vielleicht einige Tipps geben.

Sie: Das kann ich nicht, aber ich kann mit Ihnen beten.

Ich: Meinen Sie, das hilft?

Sie (wieder ganz eifrig): Ganz bestimmt.

Ihre etwas zu klein geratenen Augen leuchteten und bildeten einen krassen Gegensatz zu dem ansonsten blassen Gesicht. Doch nun bekam sie hektische rote Flecken, das stand ihr gar nicht mal schlecht und brachte etwas Farbe ins Spiel. Ihr Haar war verschwitzt. Ganz eindeutig war der Mantel für diese Jahreszeit zu warm. Am Kragen lugte ein Rollkragen aus grüner Wolle hervor. Sie öffnete ihre große schwere Umhängetasche, die sie die ganze Zeit der Unterhaltung nicht abgestellt, sondern tapfer über ihrer Schulter getragen hatte.

Sie griff hinein und holte ein kleines schwarzes Büchlein hervor.

Sie: Hier, die schenke ich Ihnen.

Bevor ich zugriff - das mache ich nie, ohne genau hinzusehen -, entdeckte ich eine goldene Aufschrift “Die Bibel”

Ich: Das brauche ich nicht. Mein Glaube steht woanders geschrieben. Aber nun kommen Sie zur Sache; erzählen Sie etwas von den Bienen oder gehen Sie. Ich bin sehr müde.

Sie: Von den Bienen?

Da langte es mir.

Ich: Wissen Sie, geben Sie Ihre Kenntnisse irgendwo weiter, ich möchte nun gern schlafen gehen. Und noch eines: Sie sollten sich auf Vorträge besser vorbereiten.

Damit schloss ich die Tür. Nicht sehr höflich, aber schließlich wollte ich nicht die ganze Nacht hier verbringen.

Irgendwo im Hintergrund hörte ich meinen Mann herum wuseln.

Ich ging zu ihm und sagte, dass die Leute immer merkwürdiger würden.

Will mir was von Bienen erzählen, dann mit mir beten und schließlich mir noch ne Bibel schenken.

Aber, antwortete mein Mann, sie hat doch vorhin gesagt, sie wolle dir etwas über den Wert der Bibel erzählen. Ich hab mich schon gewundert, dass du sie herein gelassen hast.

 

Ich bin sofort ins Bett gegangen. Müde, wie ich war. Wer weiß, wem ich an diesem Abend noch alles die Tür geöffnet hätte.