Zweifel - an mir?

Es gibt Dinge, an denen zweifele ich. An mir, an meinen Mitmenschen, am allgemein Unverständlichen; nicht zuletzt am Verstand einiger Zeitgenossen. Ich könnte auch noch aufzählen, dass ich Zweifel an Wichtigkeiten habe, wie sie tagtäglich von den Medien in die Welt posaunt werden, an den Blasen, die nebst kleinen kalten Wölkchen aus den vollen Mündern der Politiker hervor quellen und denke mitunter: Hätten sie es bloß bei den besagten Wölkchen belassen. Aber sei es drum: Ich habe das nicht zu befinden und maße es mir auch nicht an. Ich kann meine Ohren schließen, wenn die Neuigkeiten dieser Welt mir zu banal sind oder ich anderswo Wichtigeres höre.

Heuer ist der Winter ausgebrochen. Ein Thema des Unerschöpflichen. Was meinen Sie? Ist der November für die Jahreszeit zu kalt? Und was heißt das überhaupt? Für diese Jahreszeit? Der November ist hier seit vielen Jahrhunderten angesiedelt, wenn gleich er nicht mehr den passenden Namen hat, wonach er eigentlich an 9. Stelle sein müsste, aber da geht es ja schon los. Der September hat diesen Platz belegt und heißt eigentlich der 7. Monat. Vom Oktober ganz zu schweigen. Ich habe große Hoffnung, dass eines Tages eine Umbenennung stattfinden wird, denn hier geben sich die Wissenschaftler ja sozusagen die Klinke in die Hand im Erfinden neuer Namen für Dinge, die wir lange kennen. Gut, das mag daran liegen, dass immer wieder Neues entdeckt wird und deshalb das Weltbild sich verschieben muss. Aber kommen nicht auch Ihnen manchmal Zweifel an der neuen Aussage? Wo wir doch wissen, dass nichts von Dauer ist, nicht mal die Erdgeschichte. Hier gibt es auch neue Einteilungen, weil man mit den alten nicht mehr auskam.

Was aber nicht korrigiert wird, ist die Absurdität von der „Erschaffung" der Welt. Die ist ja wirklich festgelegt, nämlich auf den 13. Oktober 3758 vor Chr. - nach dem Jüdischen Kalender zumindest. Auch da kommen mir dann leise Zweifel, wenn ich an die Wissenschaft und Forschung denke, die hinsichtlich der Dinosaurier allein schon einen weitaus längeren Zeitraum ins Auge fassen.

Was mich aber wirklich total zweifeln lässt, ist ein Ausspruch einer Nachbarin - ihres Zeichens Psychoanalytikerin von Profession. Ich traf sie heute Morgen auf dem Weg zu meiner Arbeit. Sie musste Asche streuen, weil das Winterwetter eben nicht nur Thema in den Nachrichten ist, sondern sich auch real abspielt. Wir begrüßten uns auf das Herzlichste wie immer und das Thema war wie immer erst mal das Wetter. In ihrer Profession belässt sie es nicht dabei, einfache Feststellungen hinsichtlich des Wetters zu treffen, was allein ja schon überflüssig wäre, weil wir auf dem selben Längen- und Breitengrad direkt nebeneinander wohnen. Und wenn ich so wie heute Morgen direkt neben ihr stehe, haben wir beide aber so haargenau das selbe Wetter wie es ein zweites selbes gar nicht gibt. Ob es nun stürmt, regnet, die Sonne lacht oder manchmal eben schneit, ob es kalt oder warm ist oder irgendwas dazwischen; nein, sie analysiert und stellt Vergleiche an, wie das Wetter gestern und vorgestern, auch letztes Jahr um diese Zeit gewesen ist. Das alles kenn ich schon und ich mühe mich, nicht zu lächeln und keine dummerhaftigen Bemerkungen zu machen, die Anlass dazu geben, dass sie nun anfängt, neben dem Wetter womöglich mich zu analysieren. Nun ist das Thema Wetter eher ein kurz abzuhandelndes und damit hätte sie es auch vermutlich so wie immer bewenden lassen können. Aber nicht so am heutigen Morgen. Da tat sie diesen schicksalsschweren Zusatz, der mich den ganzen Tag nun nicht zur Ruhe kommen lässt.
Sie blickte mich in dieser Art und Weise von oben bis unten an, wie es früher die Großtante getan hat, bei der man als Kind zu Gast war und womöglich nicht passend angezogen. Ich habe aufgrund dieser Vorgeschichte und dem dazugehörigen Training in Sachen Trotz mir lange abgewöhnt, mich darum zu scheren, was andere zu meiner Kleidung sagen. Ich trage in der Regel, was ich will. Aber dieser Satz heute - und zu dem komm ich jetzt - lässt mich zweifeln, ob bei mir alles richtig ist oder ob ich einer gründlichen Überholung bedarf. Sie sagte mit einem analytischen Unterton in der Stimme:
„Oh! Du trägst ja rote Schuhe!" Und das war es auch schon.
Wie soll ich damit umgehen? Was wollte sie mir damit stecken?
Rote Schuhe - sind die unpassend in Bezug auf das Wetter? Auf das Weltgeschehen? Ich bin verwirrt und irritiert. Ich meine, bis heute Morgen fand ich meine roten Halbschuhe aus einer Art Wildleder tragbar und passend zu dem übrigen Outfit. Und nun das. Sie hat ja nicht gefragt, weshalb ich rote Schuhe trage. Sie hat es so in den Freiraum der November-Kälte gestellt. Und dann das „Oh!" vorne an. Ein Wort, das man im Ausdruck des Erstaunens nutzt, auch manchmal ein kleines Erschrecken. Und sie gehört gewiss nicht zu den Menschen, die dieses Wort ständig im Munde führen.
Nun mache ich mir den ganzen Tag schon einen Kopf, was sie mit diesem Satz bezweckte. Ich wäre froh, Selbst-Analyse nicht nur im Verhalten erlernt zu haben, sondern auch im Hinblick auf meine Kleidung, die vielleicht Anlass zu Zweifeln gibt. Und deshalb, meine lieben geduldigen Zuhörer, habe ich heute zu den diversen Zweifeln, die ich in dieser Weltgeschichte sehe (siehe oben) nun auch noch diese der roten Schuhe gepackt.
Ich hoffe, ich komme hinter das Geheimnis, und zwar rechtzeitig, bevor ich vor der Entscheidung stehe, ob ich die roten Schuhe jemals wieder anziehe oder nicht.