Clowns und Särge

Die Landschaft der zivilen Beerdigungstraditionen wird immer bunter. Früher war alles klar und relativ einfach, wenn man mal von der Trauer absieht, die eine Familie heimsucht, wenn ein lieber Mensch sie verlassen muss. Und der Gedanke, dass dieser Mensch in der gewohnten Form nicht - nie - mehr zurückkehrt, ließ viele verzweifeln. Neben den vielen Tränen und Trostworten musste man sich um die Formalitäten kümmern und der erste Weg war in der Regel der zu einem Bestattungsinstitut.
Nur wenige von uns umgeben sich gern mit diesen Dingen, also gibt es zwischenzeitlich so viele Hilfen, die dem Trauernden das Bürokratische schlechthin und vieles andere abnehmen.
Auch die Art und Weise, wie ein Mensch bzw. seine sterblichen Überreste - denn die Seele, nicht? Wissen wir ja - also die Dinge, die in den Kreislauf des Lebens zurückgehen - unter die Erde oder in ein Feuer gebracht werden. Mannigfaltig ist das Angebot. Es gibt Menschen, die Zeit ihres Lebens die Nähe des Wassers gesucht haben und nun im Tod zu finden hoffen. Sie können eine Seebestattung erhalten, der jedoch immer eine Feuerbestattung vorausgeht. Der Körper wird in unseren Breiten nicht einfach den Fischen überlassen.
Neuerlich finden sich auch vermehrt Institutionen, die es den Hinterbliebenen ermöglichen, auf ganz besondere Art und Weise von ihren Lieben Abschied zu nehmen. Also nicht nur in einem Raum der Stille. Auch in einem Raum mit Lärm, falls gewünscht. Mit bemalten Särgen. Mit Licht oder schwarz umhüllt. Mit vielen Blumen und einer selbstausgesuchten Musik. Mit Totenwache und einem Essen mit Freunden. Was früher das „Versaufen des Kuhfells" genannt wurde, ist heute in allen Richtungen stilistisch möglich.
Bei diesen vielen Angeboten ist es verständlich, dass es manchmal den Wunsch gibt, eine Toten- oder Trauerfeier in ganz besonderen Räumen gemeinsam mit dem lieben Verstorbenen abzuhalten.
Als da wären die öffentlichen Gebäude wie zum Beispiel die Musikhalle oder gar ein Rathaus. Andere Kulturstätten sind ebenfalls gefragt.

 

 

Ja, es sind nicht nur immer die besonderen Feiern des lebendigen Lebens wie Hochzeiten und Taufen, Geburtstage und Jubiläen, die die Menschen an ausgesuchten Stätten zusammenbringen. Und weshalb soll es eigentlich immer eine Kapelle sein? Hat ein Mensch zu Lebzeiten keinen Hang zur Stille und zum Heiligen gehabt, so sollte ihm auch im Tod vergönnt sein, wohin er sich zu Lebzeiten gezogen fühlte. Da, wo das Leben tobt. Wo keine gedrückte Stimmung herrscht. „Ich will Gesang, will Spiel und Tanz..." hat der Liedermacher Klaus Hoffmann vor etlichen Jahren gesungen und vielen dabei aus der Seele gesprochen. Dass man sich „wie toll" vergnügt, das hat doch was.
Und so ist es eben gar nicht verwunderlich, dass eines Tages - an einem Wochenende - ein Leichenwagen vor einem der Kulturhäuser hielt. Es war wie gesagt Wochenende und die Zeit über wurden die Räume am Tage für Proben unterschiedlicher Künstlergruppen genutzt.
An diesem Tage probte eine Gruppe von Clowns in den Räumen. Als es an der Tür klingelte, ging einer von ihnen, um zu öffnen. Mit seiner Schminke im Gesicht, seiner roten Ballonnase und seinen gestreiften Pumphosen angetan, stand er einem Beerdigungsunternehmer gegenüber, der im Brustton der Überzeugung darstellte, dass „hier und heute eine Trauerfeier" angesetzt sei; in dem und dem Raum. Und er sei hier, um alles vorzubereiten. Den Sarg hätte er dabei. Die Trauernden würden in Kürze dazustoßen.
Der Clown, dessen Namen wir hier aus Gründen von Pietät und Taktgefühl unerwähnt lassen, damit niemand einen Bezug zu den Betroffenen herstellen kann, fand nichts dabei. Kunst im Leben und im Tod liegen dicht beieinander. Und ein Clown kann auch ein sehr trauriges Gesicht machen, wenn es darauf ankommt.
Er ließ den ganz in Schwarz gekleideten Herren also ein, der sich einen Blick über die Räumlichkeiten verschaffte, sodann mit einem Helfer zusammen den Sarg hereinrollte - auf einem dieser fahrbaren Untersätze; der Sarg fand einen würdigen Platz und wurde allseits geschmückt. Die Clowns standen ergriffen in der offenen Tür und sahen zu. Das war nun echte Kunst, diesen etwas kahlen Raum zu einer Art Kapelle herzurichten, mit Kerzen und Sargschmuck, mit Blumen und allerlei Feinem, auch ein Abspielgerät wurde aufgestellt. Heute gibt es Musik aus der Konserve, soviel war klar.
Feierlich und bedächtig betrachteten der Beerdigungsunternehmer und sein Helfer ihr Werk, verteilten Visitenkarten an die Clowns und gingen von dannen, nicht ohne anzumerken, dass sie später „zur Erledigung" wiederkämen.
Die Gruppe der Clowns verzog sich wieder im Übungsraum. Als kurze Zeit später ein Rauschen durch die Eingangshalle zu hören war, steckten sie neugierig ihre Knallnasen um die Ecke und sahen eine Anzahl von Menschen in den zur Andacht vorgesehenen Raum gehen. Es wurde still und da Clowns von Natur aus neugierig sind, huschten sie im Gänsemarsch, als seien sie auf einer Bühne in ein Stück eingebaut, um die Leute zu erfreuen, ebenfalls den Korridor entlang zur anderen Seite. Die Tür war leider verschlossen und es war nur Musik zu hören. Andächtige Musik, dessen Urheber vielleicht Händel war oder Grieg oder noch wer anderes.
Dann erhob sich ein Gemurmel hinter der Tür und nach einer weiteren Weile waren Gesprächsfetzen zu vernehmen, unterbrochen mit leisem Schluchzen, aber auch - und das ist versichert - mit einem kleinen Lachen.
Erneut war Papiergeraschel und Musik hören.

Da sich nichts Wesentliches ereignete, kehrten die Clowns wieder um. Man sollte Trauernde auch nicht belauschen. Das gehörte sich einfach nicht.
Ihr eigenes Tun und Wirken, zu dem sie an diesem Samstag hergekommen waren, übernahm alsbald ihr ganzes Interesse und an die ein paar Zimmer weiter feiernden Trauernden dachten sie nicht mehr.

 

Zu später Stunde - als sie endlich genug von ihrer Clownerie und ihre Übungen sich verfertigt hatten - entledigten sie sich ihrer Masken und Kostüme, packten ihre Sachen und verließen den Saal. Die Tür weiter hinten stand offen und erst nun erinnerten sie sich. Es war keine lebende Seele mehr anwesend. Aber der Sarg stand immer noch dort. Verschlossen und still.
Den Clowns juckte es in den Fingern. War dieser Sarg überhaupt besetzt? Was, wenn.... nein, das könne man nicht tun. Und doch. Wer will es schon wissen, nachweisen? Also los. Wer macht's? Du, dein Vater war Tischler. Aber doch kein Sargtischler. Egal. Nein. Feigling.
So redeten sie eine Weile ohne sich schlüssig zu werden. Dann gab sich einer von ihnen einen Ruck und ging zum Sarg.
Der ist zu. Ja, das wissen wir. Mach ihn auf. Los, mach!

 

Obwohl sie allein waren - zumindest, soweit sie wussten - flüsterten sie oder sprachen mit gedämpfter Stimme.
Die Schrauben waren Libellen ähnlich. Es ging wie geölt, sozusagen.

 

Dann hingen die Schrauben an ihren Halterungen in einer unverständlichen Verdrehung am Sarg herunter.
Mit einem enormen Respekt und Fingerspitzengefühl wurde nun der Deckel geöffnet. Es brauchte zwei von ihnen, um ihn ohne Rückschlag zu heben.
Als der Deckel dann doch durch eine Ungeschicklichkeit nach hinten polterte, blieb ihnen fast das Herz stehen.
Auf seidigen Kissen lag eine alte Frau. Das Gesicht im friedlichen Einvernehmen mit dem Geschehen und die Augen geschlossen, die Hände um eine Margarite gefaltet.
Die Clowns umstanden dieses letzte Bett nun etwas unschlüssig. Dann machte einer den Vorschlag, ihr eine letzte Ehre zu erweisen. Sie holten alle ihre roten glänzenden Kugeln aus den Taschen und setzten sie auf ihre Nasen. Einer hatte noch eine Ersatznase dabei, die bekam die Frau und sah dadurch so fröhlich aus, dass sie alle in die Hände klatschten.

 

Dann fingen sie an, den Sarg zu umtanzen und ausgelassen ein Lied zu singen. Und am Schluss war es ihnen, als hätten sich die Wangen der Alten rosa gefärbt. Als sie schließlich daran gingen, den Deckel wieder an seinem angestammten Platz zu befestigen, hätten sie schwören können, dass ein kleines Blinzeln, ein kleines Augenzwinkern ihnen entgegenschlug, weshalb sie beschlossen, die Clownsnase dort zu belassen wo sie war. Man muss sich das vorstellen, meinte einer von ihnen, eine Clownsnase für die Ewigkeit. Das hat doch was.

Sie wollten gerade das Haus verlassen, als der Beerdigungsunternehmer zurückkam, um den Sarg abzuholen und den ganzen Schmuck wieder einzukassieren. Denn der wurde für die nächste Trauerfeier benötigt.


©2007