Die Notwendigkeit, zu jeder Tageszeit mit Nachrichten aus aller Welt versorgt zu werden, wird stark überschätzt. Das macht sich spätestens bemerkbar, wenn die Möglichkeit ausfällt. Sei es durch ein Verweilen fernab vom eigenen Haushalt oder durch ein defektes Radio/TV.

 

Kann aber auch ganz andere Gründe haben.

 

Jeder Raum ist heutzutage irgendwie mit zugänglichen Medien ausgestattet; Radio, Fernsehen, Internet und was dergleichen mehr installiert wird. So ist es nahezu unmöglich, dem Alltagsgeschehen in Form von Berieselung durch diese besagten Medien aus dem Wege zu gehen und bisher fand ich das auch gut so.

 

Morgens im Bad schon die neuesten Nachrichten zu hören, sozusagen frisch aus dem Sender-Ofen, serviert von Kommentatoren, die willkommen oder auch nicht willkommen sind; Nachrichten für den Fortgang der eigenen Gedanken über das Geschehen am anderen Ende der Welt, Regionales der aufregenden Art, Berichte über Spinner in nächster Nachbarschaft und anderswo – all das ein unbedingtes Muss, will man tags mitreden können. Die Frage ist, ob man das muss. Tagtäglich. Aufreibende Erkenntnisse über die Übel der Welt, nicht zu ändernde Entwicklungen und manchmal den Schnee von gestern. Muss ich das wirklich haben? Wie oft habe ich mich das schon gefragt. Und dann läuft das Radio im Bad immer auf dem Sender, der alle Viertel Stunde Nachrichten, Wortbeiträge, Redezeiten preisgibt. Nicht unbedingt immer sehr erbauend, das Ganze.

 

Ich – und damit stehe ich sicher nicht allein - muss mitunter zu meinem Glück, sprich: Abstinenz vom kritischen Alltag gezwungen werden.

 

Die Lampe im Bad hat ihren Geist aufgegeben und die neue ist nicht entstört. So ist es ein Unding, das Radio laufen zu lassen, weil meine Nerven das nicht länger als ein paar Sekunden mitmachen. Dieses Geschnarre und laute Gekrächze. Weshalb ich den „AUS“-Knopf betätige. Aah. Ruhe. Wunderbar.

Am zweiten Tag habe ich Entzugserscheinungen. Also gehe ich auf die Suche nach einer anderen Steckdose, um das Radio wieder zum Leben zu erwecken. Und werde auch fündig. ABER ich kann den Sender nicht mehr wiederfinden. Den mit den superintelligenten Wortbeiträgen. So suche ich, bis ich zumindest irgendwo einen klaren sauberen Empfang finde. Ohne Schnarren und Gekrächze. Ein Musiksender. Ohne Frage DER Musiksender. Klassik-Radio. Und doch läuft gerade laut Ansage die Film-Musik zu „Fluch der Karibik“. Sagt die Ansagerin. Piraten sind unter uns, erklärt sie. Der beste Pirat soll Johnny Depp gewesen sein. Keine Ahnung. Also ich habe keine Ahnung, weil ich die Filme nicht gesehen habe.

 

Dann folgt eine feine Überleitung zu Richard Wagner, der mit „Der fliegende Holländer“ auch ein Piratenstück komponiert habe. Aber das würde jetzt nicht gesendet, sondern „Die Meistersänger von Nürnberg“. Das sind keine Piraten. Wer hätte das gedacht. Zu diesem Zeitpunkt stehe ich schon unter der Dusche und höre nicht mehr richtig hin. Ich merke jedoch, dass ich nicht wie sonst verspannt den Tönen aus dem Radio lausche, die ja nun keine schlechten Nachrichten, sondern schöne Musik in mein Badezimmer bringen – auch wenn Richard Wagner nicht zu meinen erklärten Lieblingskomponisten gehört - , sondern mich fast träumerisch auf den Tag einlasse, der da draußen außerhalb meines Bades auf mich warten mag.

 

Als ich fertig geduscht habe und das Wasser abdrehe, füllt sich mein kleines Badezimmer mit den vollen Tönen aus "Peer Gynt - Morgenstimmung"- eines meiner erkärten Lieblingsstücke; wie passend am Morgen im Bad. Und ich merke, dass ich – anders als bei den Nachrichten – ruhig werde, Vertrauen in den Tag bekomme, Lust auf Draußen habe und meine Laune barometermäßig auf Schönwetter geht.

 

Das Weltgeschehen soll seinen Gang gehen; ich habe alle Zeit der Welt, ihm zu folgen. Den ganzen Tag lang. Es ist kein Muss – am frühen Morgen. Nachrichten, meine ich. Was wichtig ist – ich kann es abwarten. Früh genug wird es mir zugetragen, wenn es wirklich wichtig ist. Jetzt, jetzt gerade ist mir nur „Peer Gynt“ wichtig. Tut mir ganz einfach gut.