Unterwegs mit dem 34er
Gestern fuhr ich mit dem 34er Bus von Wilhelmsburg zurück nach Hause. Die Sonne war schon untergegangen und nur weit im Westen gab es ein paar helle Streifen über dem Horizont. Wolkenbänder belebten das Oben. Und da sah ich ihn. Eine Nacht nach Vollmond stand er riesig groß und leuchtend orange an einem fast wolkenfreien Himmel und blickte zu uns herunter.
Auf diese Art kann ich ihn aus meinem Garten nie sehen, weil andere Häuser im Quarree mir den Blick verstellen. Wenn der Mond dann seinen für mich sichtbaren Stand erreicht hat, ist er schon relativ klein und nicht mehr orange, sondern silbrig.
So einen großen Mond – noch nahezu voll – habe ich zuletzt an der Küste sehen können. Ich erfreue mich also an seiner „Begleitung“ über eine Strecke auf dem Weg nach Hause.
Der Bus ist kaum besetzt und die, die mit mir die Fahrt teilen, teilen nicht den Blick nach draußen. Sie sind beschäftigt. Mit Handys in diverser Art und Ausführung oder haben nach einem langen Tag die Augen geschlossen, geben sich Tönen aus kleinen Stöpseln im Ohr hin.
Nur eine Frau hat ihn ebenfalls entdeckt. Sie sitzt ein paar Plätze vor mir auf der rechten Seite und ihr Blick ist deshalb nicht ganz frei, weil links von ihr andere die Plätze besetzen.
Kurzerhand wechselt sie von rechts nach links.
Sie kramt und findet eine Kamera in ihrer Handtasche. Eine kleine mit einem großen Display. So habe ich im Blick, was sie im Blick hat. Ja, sie hat den Mond ins Visier genommen. Zoomt, lässt ihn wieder weiter weg ziehen. Also auf dem Display, versteht sich.
Ein paar Male seufzt sie ein wenig: „Ahh, so schön!“
Weil der Bus die Strecke ändert, aber immer noch Richtung Mond fährt, muss eine andere Blickrichtung her. Also Wechsel von links nach rechts. Die Frau mit der Kamera, versteht sich. Nun hat sie aber wirklich einen sehr guten Blick auf unseren Mond. Sie hält die Kamera hoch, zoomt ein, zweimal, lässt sie wieder sinken. Warum nur macht sie keine Aufnahme? Nach einer weiteren Kurve erneuter Platzwechsel. Nun aber - so wie jetzt kriegt sie den Mond nie wieder aufs Bild! Kamera hoch, ran zoomen, zurück – noch einmal. Der Bus befährt nun eine ganze Weile ohne große Kurven seine Strecke. Haltestellen werden angefahren, Leute steigen ein und aus, es geht weiter. Unser Mond ist immer noch groß, orange, faszinierend anzuschauen. Gerade haben sich ein paar kleine Wolkenlinien vor ihn geschoben und machen ein feines Streifenmuster in der Waagerechten.
Meine Mitfahrerin, ein paar Plätze vor mir, treibt ihr Spiel mit der Kamera weiter.
Ich mache mir so meine Gedanken. Wie weit ist der Mond heute Nacht von der Erde entfernt? Sind es 390000 km, 406000 oder gar nur 356000? Letztere ist – wenn ich mich recht erinnere – die kleinste gemessene Entfernung von der Erde. Das war vor ein paar Jahren mal der Fall. In dem Sommer, als die Blöd-Zeitung titulierte: „Kommt jetzt die Klima-Katastrophe? Mond nahe wie nie.“ Und sie prophezeiten wildeste Stürme und Vulkanausbrüche. Wir geben ja immer gern anderen die Schuld an Katastrophen.
Die Frau mit der Kamera kann sich ganz offensichtlich wieder nicht entscheiden. Nun steht sie auf und geht weiter nach vorn, dort ist ein Platz freigeworden. So in etwa 2 m von ihrem vorherigen. Wieder setzt sie sich ans Fenster - es wird gezoomt, was das Zeug hält und diese kleine Kamera verspricht es womöglich auch. Ein erlösendes „Klick“ habe ich immer noch nicht gehört. So weit entfernt kann ich das Display auch nicht mehr gut erkennen, nur den kleinen hellen Fleck mittig, der wiedergibt, was die Frau mit dem Sucher vom Mond einfängt. Weiter geht die Fahrt und meine Haltestelle, an der ich mich von Bus und Kamera-Frau werde verabschieden müssen, ist fast erreicht.
Ich stehe schon mal auf und begebe mich an die mittlere Tür des Busses. Mit einem Blick nach schräg links kann ich weiterhin die Frau mit der Kamera beobachten. Sie ist immer noch wild entschlossen, diesen schönen Blick in Orange und groß einzufangen.
Gerade, als ich meine Haltestelle erreiche, höre ich beim Aussteigen, wie sie zu einem hinter ihr sitzenden Fahrgast sagt: „Ach, ich warte noch, bis wir näher dran sind.“