Der Mond und die Engländer

An der Ecke existiert ein kleiner Laden, über dem in vergilbten Lettern „Kolonialwaren" angekündigt werden. Nun, auch wenn sich in dem Laden auf Regalen Produkte aus aller Welt die Schau stehlen und auf Käufer warten, so kommen sie dennoch heutzutage zwar aus ehemaligen Kolonien, aber die Zeiten dieser Art der Herrschaft sind zumindest vertraglich vorbei.
Was die einen in Freudentaumel stürzen ließ, hinterließ bei anderen einen faden Nachgeschmack, mussten sie doch ihre weit entfernten Ländereien aufgeben.
Eine große Kolonialmacht waren u.a. die Engländer, die die Welt eroberten und ihre Regenschirme strategisch verteilten. Die weiße Fahne mit dem roten Kreuz wehte in vielen Bereichen verschiedener Kontinente und soll - wie man der Presse entnehmen kann - nun auch den Mond schmücken.
Gut, es wird keine Kolonialmacht sein, die den Fuß auf außerirdisches Gebiet setzt, soviel ist klar. Und doch: Die hiesigen Landkarten auszufüllen, jedes kleine weiße Fleckchen bekannt zu machen - das war und ist das Ziel unserer abenteuernden britischen Nachbarn, denn egal, wo sie ihren Fuß hinsetzen, ob es die Falklands sind oder die Liegestühle der Balearen- und Kanaren-Strände, sie bleiben doch immer Engländer. Alle anderen sind aliens. Besucher aus den anderen europäischen Ländern, so sie sich auf das Eiland des Vereinigten Königreiches begeben, sind „continental visitors"; sie - die Engländer - gehören nicht dazu.

Engländer sind allen voran eine etwas skurrile Spezies. Ihr weltbekannter schwarzer Humor überlagert als Sympathieträger die englische Küche; ihre Queen, die sich laut über „amusements" äußert, die sie nicht als solche empfindet, wird von ihnen ausgehalten, auch wenn der Rest der Bevölkerung die Schulmilch für die Bedürftigen abschaffen muss und ähnliches mehr.
In dem kleinen Städtchen Westerham im schönen Landstrich Kent gelegen, eröffnete vor ein paar Jahren ein kleiner Tabakwarenladen. Eine englische Lady, die ihrem Stand in dieser Form zugegeben alle Ehre machte, hielt dort tags Hof hinter dem Tresen und verkaufte. Sie war bekannt in dem Städtchen und hatte nach der Ansicht der übrigen Einwohner so eine Tätigkeit nicht nötig, denn ihrer Familie - sprich: ihr und ihrem Ehemann - gehörte das große Landgut etwas außerhalb. So fragten sich die Leute schon und fragten deshalb auch nach. Als Grund wurde genannt: Ihr Ehemann - ein Sonderling par excellence aus dem englischen Hochadel - hatte seiner Frau zu deren 45. Geburtstag einen Lebenstraum erfüllt: Einmal in dem niedrigen Rang einer Verkäuferin zu arbeiten. Es sollten auch Tabakwaren sein, das fand sie vornehm. Zigarren gelagert in Humidore, vergoldete Zigarettenspitzen, edle Sorten Tabaks. Ihr Mann hatte diesen kleinen Laden spottbillig aufgekauft und einige Waren in die Regale füllen lassen. Seine Lady stand dort nun ein paar Stunden am Tag, bekam Besuch von ihrem Ehemann, der nun seine Tabakwaren ausschließlich bei ihr einkaufte, und von Freundinnen, die sich gar nicht wieder einkriegen konnten und die Ladenbesitzerin über die Maßen bewunderten ob solchen Mutes. Manchmal kauften sie sogar etwas und ließen sich unter albernem Kichern ihre Scheine gegen Ware einwechseln, nahmen das Wechselgeld mit gesteigerter Heiterkeit entgegen.

Andere Engländer, die durch Umstände, die hier nicht näher beleuchtet werden sollen, waren durch Kauf von Grundstücken Besitzer alter ruinenhafter Bahnhöfe oder ähnlichem geworden. Obwohl man durchaus sozusagen von hinten in die Ruinen eintreten konnte, weil diese womöglich an öffentliche Wege - frühere Zugänge zu den Gleisen - grenzten, war ein Obulus in Form einer Pfundnote zu entrichten, wollte man den alten Backsteinverfall von vorn aufsuchen.
In der Nähe von Hastings gab es ein Erdloch, welches mit ein paar Mauerresten umgrenzt war. Hier handelte es sich um den allerersten Versuch eines Tunnels unter dem Ärmelkanal (es gibt derer ca. 100 in Südengland nahe der Küste). Auch dieses kleine Fragment war gegen einen Sight-seeing-Schilling zu bewundern, da es nach Verkauf des zugehörigen Grund und Bodens nun auf Privatbesitz geraten war.
Zu besichtigen ist anderenorts ein großer Garten, in dem der Besitzer eine Eisenbahnanlage - größer als die bekannte Lehmann - installiert hat. Die Anlage nimmt den ganzen Garten ein, geht unter Büschen durch und manchmal verschwinden die Gleise in Tunnels, um überraschender Weise irgendwo wieder ans Tageslicht zu kommen.
Nicht genug damit, auf der Terrasse des Hauses gibt es sommers ein offenes Café und ein Schild an der Vordertür besagt, dass Gäste zu Tee und Kaffee mit selbstgebackenem Kuchen willkommen sind.
Während man also gemütlich dort sitzt, fährt die Garten-Eisenbahn an der Terrasse vorbei, begegnet auf einem zweiten Gleis ihrem Schwester-Zug. Der Besitzer regelt die Weichenstellung vom Wohnzimmer aus, dessen Fenster den Blick auf den Garten freigibt. Und die Gäste können Wünsche äußern. Gegen einen kleinen Aufpreis lässt er die Züge direkt neben der Terrasse zusammen stoßen. Das ist ein Spaß!

Diese etwas ausschweifende Vorbemerkung ist Absicht. Zeigt sie doch auf, dass die Briten im Allgemeinen und die Engländer im Besonderen immer wieder witzige Ideen haben, um ihren Alltag, der durch Nebelgrau mitunter etwas undurchsichtig ist, farbiger zu gestalten.
Nun also planen sie eine Fahrt zum Mond. Sie haben recht, wenn Sie bemerken, dass auch andere schon den Mond betreten haben, das Volk mit dem Bush-Gen z.B., weshalb manchmal Neid aufkommt und schon deshalb dieser damalige Ausflug kritisch betrachtet, ja, von einigen Ewig-Zweiflern gar in Abrede gestellt wird. Ist ja alles richtig. Wie sollte man auch ruhig bleiben bei der Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die nicht nur mental hinterm Mond sein möchten, sondern dies auch den übrigen Erdbewohnern unter Beweis stellen wollen.

Unser Mond - er gehört zur Erde und somit zu uns - ist in vielen Ländern ein Vertrauter, ja, Verwandter - eher weiblichen Geschlechts - und begleitet unser Dasein kraftvoll mit Ebbe und Flut, Licht in der Nacht, Fruchtbarkeit. Er ist da, weil wir ihn brauchen. Gäbe es ihn nicht, wäre es nicht möglich, auf dieser Erde zu leben. Keiner von uns. Das Gleichgewicht, welches er zusammen mit der Sonne auf unseren kleinen blauen Planeten ausübt, ist das Gleichgewicht, welches uns am Leben erhält.
Es wird ihm auch nichts ausmachen, dass Menschen ihn besuchen,  seine Herkunft verstehen. Er wird sein Verhalten deshalb nicht ändern. So long, wie der Engländer sagt. Aber es ist fraglich, ob die Stille des Mondes so bleibt und ihn dazu bringt, uns weiterhin zu leuchten.
So konservativ der Engländer an sich ist, so sehr ist er aber darum bemüht, seine Eigenheiten, und derer sind nicht wenige, in die Welt zu tragen. Müssen wir darum nun nicht wirklich dieser Mondreise skeptisch begegnen? Man fragt sich doch, was die Engländer eigentlich auf dem Mond wollen. Er eignet sich weder für den eleganten Kopfschmuck des vornehmen Engländers - stellen Sie sich mal eine Melone unter einem Raumfahrer-Helm vor!), noch kann man dort so ohne weiteres Hunderennen installieren. Auch wird es eher mühsam sein, Hammel mit Minced sauce zu servieren (das einzige Mondkalb, was aus der Literatur bekannt ist, dürfte zwischenzeitlich zäh geworden sein, und es ist eben das falsche Rindvieh).
Die einzige Gruppe von Engländern, die ich mir sinnvoll in diesem Unternehmen vorstellen könnte, sind die „Monty Pythons", die durch John Cleese und Terry Gilliam mit ihrem „Flying Circus" durchaus das Know-how beisteuern könnten. Oder Pink Floyd , die immerhin auch schon die dunkle Seite des Mondes besungen haben. Auch Douglas Adams, der viel weiter als der Mond in seinem „Anhalter" gereist ist, wäre prädestiniert.  Leider ist er viel zu früh von uns gegangen und weilt schon länger in ganz anderen Galaxien. Alles Engländer.
Also, wenn man vieles über England und die Engländer sagen kann, eines nicht: Sie waren nie humorlos. Und so reihen wir auch die Pläne der Mondfahrt vielleicht als solches ein: Englischer Humor.