Biikefeuer
Warum muss ein wunderbares Wochenende so ärgerlich enden? Ausgerechnet kurz vorm Dorf gibt das Auto den Geist auf. Stockfinstere Nacht. Darüber täuscht auch der sternenklare Februar-Himmel nicht hinweg. Eisiger Wind weht von Ost und ihr um die Ohren. Ja, würde sie noch am Biike-Feuer stehen....
Vor allem, weil Robert in Bierlaune an frühere Zeiten andocken wollte, war sie entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nicht bis Montag bei den Freunden geblieben, um dann bei Tageslicht heimzufahren. Was vorbei ist, ist vorbei.
Kein Licht mehr in den Häusern. Die Leute im Dorf schlafen sicher längst. Aus der kleinen Pension am Ortsrand dringt Gelächter. Ein paar späte Gäste, bestimmt Boßler aus der Stadt. Irgendwo bellt
ein Hund. Ein paar Schritte noch, dann ist sie in ihrem kleinen alten Bauernhaus und im Bett. Nichts mehr tun, denkt Henrike, nur schlafen.
*****
Brandgeruch. Wer hat das Biike-Feuer wieder entfacht? Rauchfähnchen steigen auf. Verbranntes Holz riecht gut. Meistens. Dieses nicht; riecht viel zu verbrannt. Jetzt züngeln kleine Flammen und werden groß und größer. Irgendwer bläst auf einer viel zu schrillen Pfeife. Ich bin so müde. Ich sollte schlafen gehen. Aber was wird dann mit dem Feuer? Eine Tür wird zugeworfen.
Mit einem Schlag bin ich glockenwach. Nicht zuletzt von einem quälenden Hustenanfall. Der Traum geht, der Brandgeruch bleibt! Das Schlafzimmer ist verqualmt. Rauchmelder schrillen. Ich springe aus dem Bett, rufe – dabei weiß ich, ich bin allein. Nur - wer war eben aus der Haustür raus?
Ich will die Tür zum Flur öffnen, doch die Klinke ist glühend heiß.
Mit Riesenschritten bin ich am Fenster und reiße es auf. Explosionsartig fliegt hinter mir die Tür aus den Angeln. Ich spüre einen Schlag gegen den Rücken, egal - nur raus hier. Ich lasse mich an der Hauswand hinab, lande im Holunderstrauch.
Ich haste über den Rasen, bin schon auf der Straße. Nachbarn kommen gelaufen, die Feuerglocke läutet wie irre, jemand hängt mir eine Jacke über. Irgendwann stecken meine Füße in zu kleinen Gartenschuhen.
150 Jahre hat dieses schöne alte Haus meiner Familie gehört. Und nun steht der Dachstuhl in Flammen. Erhellt die dunkle Nacht.
Ich will zurück, will retten; irgendwas, aber sie halten mich fest, reden auf mich ein. Trösten mich. Ich verstehe nicht, was sie sagen. Irgendwer gibt mir einen Schnaps. Jemand muss die Feuerwehren alarmiert haben. Es geht schnell. Alles. Kurzweiliges Spiel der Flammen. Nur die Grundmauern stehen noch. Keiner konnte wirklich etwas dagegen tun. Holz, Reet und alt. Eine Mischung, gerade richtig für das gefräßige Ungeheuer. Immer wieder. Warum bei mir? Ich hatte nach meiner Heimkehr noch nicht einmal Licht gemacht, geschweige denn ein Feuer entzündet. Wieso ist mein Haus in Flammen aufgegangen?
Das fragen mich auch die Dorfpolizisten, nachdem ich in Elkes kleiner Pension Unterschlupf gefunden habe. Elke, die mütterliche, die mich mit schreckgeweiteten Augen anstarrt. Wärmender Tee mit Kandis und Sahne. Tee hilft immer. Er weckt die guten Lebensgeister. Wie seltsam es doch ist. Solche Alltäglichkeiten spülen durch meine Gedanken, obwohl ich außer mir sein müsste. Ich habe praktisch nichts mehr. Mein Nachthemd , die silberne Kette. Das ist alles.
„Sie steht unter Schock“, sagt jemand leise „kommt morgen wieder. Dann wird sie bestimmt mit euch reden“.
Von wem sprechen sie?
Ich trinke den Tee in kleinen Schlucken, die frischgebackenen Fuddjes bleiben stehen; ich müsste doch weinen. Wo alles weg ist.
Der gute alte Doktor kommt. Er streicht über mein Haar und den rechten Ärmel meines Nachthemdes hoch, wickelt einen Gummischlauch um meinen Oberarm, setzt eine Spritze, sagt: „So, Deern, nu slop n beten.“
Elke bettet mich in eines der Gästezimmer, die zu dieser Zeit selten ausgebucht sind. Noch keine echte Saison in ihrer kleinen Pension an der Treene.
„Was für ein Unglück“, sagt sie ein ums andere Mal. „Aber was für ein wunderbares Glück, dass du lebst. Und ich dachte, wir dachten.....“
Fürsorglich steckt sie die Decken fest und gnädiger Schlaf umfängt mich.
*****
Meine bleiernen Lider verweigern sich. Noch ein wenig schlafen. Ungewohnte Geräusche sind da. Wer ist im Hause? Langsam zwinge ich mich, die Augen zu öffnen. Die Tapete ist mir fremd und das Bettzeug nicht meines. Jetzt kommen die Bilder zurück und mit ihnen die Erkenntnis. Ich schreie auf und unmittelbar steht Elke im Zimmer. Sie hat wieder heißen Tee dabei. Tee, der bei uns alles heilt. Der getrunken wird, wenn man traurig ist, wenn man fröhlich ist. Wenn man feiert, wird die Sahne mitunter durch 'geelen Köm' ersetzt. Wenn alles andere geht – der Tee bleibt. Mein eigener geliebter Tee-Pott ist weg. Verbrannt. Zerborsten von der Hitze, die geherrscht haben muss.
„Trink erst mal“, sagt Elke.
Ich trinke.
Elke setzt sich an die Bettkante.
„Unten sind zwei Polizisten, die mit dir sprechen wollen. Meinst du, du kannst aufstehen?“
„Ich kann aufstehen“, antworte ich, „aber ich habe nichts anzuziehen“. Und dann kommen die Tränen. Unaufhaltsam.
„Ich habe dir ein paar Kleidungsstücke hingelegt. Alles Weitere findet sich.“
Sie geht zur Tür, dreht sich noch einmal um. Schaut mich an. Dann bin ich allein und streife mir die fremde Kleidung mit dem fremden Geruch über. Der große Spiegel bestätigt mir, was ich fühle: Das bin nicht ich.
Die beiden Polizisten sind nicht von hier. Sie trinken Tee und tragen keine Uniformen. Sie sind aus Friedrichstadt und Kriminalkommissare.
Sie können nachvollziehen, dass ich durcheinander bin. Aber sie müssen mir ein paar Fragen stellen, wie sie sie an alle stellen werden, die im Dorf sind. Brandstiftung ist nicht ausgeschlossen.
„Wann kann ich in mein Haus?“ frage ich und komme mir so dumm vor. Mein Haus steht doch gar nicht mehr. Aber vielleicht.....
Die Beiden sagen erst nichts, dann: „Viel ist nicht mehr.“
„Ich verstehe“, sage ich, und kann schon wieder die Tränen nicht verhindern.
Elke steht hinter mir und drückt mir ihre kräftige Hand auf die Schulter.
Sie wollen wissen, wann ich heimgekommen bin, was ich gemacht habe. Ich antworte, so gut ich kann. Fragen, ob ich rauche. Ich verneine.
Ob ich mich an etwas Besonderes erinnern könne, fragt der Eine.
„Nein“, antworte ich, „...ja, doch. Jemand hat die Haustür zugeschlagen. Das hat mich wohl geweckt.“
Ob ich eine Idee hätte, wer es gewesen sein könnte.
„Ich weiß es nicht. Ich habe niemanden gesehen. Ich war müde; bin schnell eingeschlafen. Vom Biikefeuer hab ich wohl geträumt. Und von Rauch.“
Ich bin denen keine große Hilfe gewesen, denke ich, als die beiden Kommissare sich verabschieden.
„Wir sehen uns“, sagen sie und „ja, also, tschüss dann.“
Ich schaue mich in Elkes Wohnküche um. Sehr groß ist sie nicht, aber gemütlich. Ich bin nicht das erste Mal hier. Natürlich nicht. Auch wenn ich nicht hier aufgewachsen bin, kenne ich die Menschen hier im Dorf. Wenn ich als Kind meine Ferien bei den Großeltern verbrachte, war ich oft bei gemeinsamen Treffen dabei. Nichts Weltbewegendes wurde da besprochen, das Übliche, welche Feier steht an, wo wird ein Baby geboren, wer kommt mit nach Friedrichstadt auf Einkaufstour? Solche Dinge. Keine größeren Katastrophen außer der, dass die Störche zu früh wiedergekommen sind und was das wohl zu bedeuten habe. Und dass Robert eines Tages fort ging, weil ihm die Dinge zu banal waren. Die Treene steigt selten über die Ufer. Wenn etwas geschieht, gibt das vielleicht einen Vierzeiler im „Landboten“. Und nun dieses Feuer. Vielleicht sogar Brandstiftung.
„Ich muss rüber zum Haus“, sage ich mitten in meine leisen Gedanken hinein laut zu Elke.
Ich stehe auf. Elke will mich zurückhalten.
„Tu dir das nicht an. Später vielleicht.“
„Nein, ich muss. Jetzt. Ich muss sehen, was noch ist.“
Ich drängele mich an ihr vorbei und gehe raus. Wo gestern mein Haus den Blick auf das Ufer behinderte, ist nun ein Loch, ein Loch im Nichts. Verkohlte hochragende Balken, vormals starke Träger der Zimmerdecke, wachsen wie die Finger von etwas sehr Bösem in einen Himmel, der so unerhört klar und blau daher kommt. Mein Haus gibt es nicht mehr. Es gibt ….doch! Der Garten existiert noch. Matsch und Fetzen zieren meinen Holunder; auch er angesengt, aber nicht verbrannt. Holunder eben. Löschwasser. Stücke, Reste von verbranntem Hausrat, Papier, das einen letzten Flug aus der Flammenhölle getan hat.
Meine Schritte werden langsamer, je näher ich dem komme, was noch gestern mein Zuhause war.
Ich fühle Blicke und ahne es. Die Nachbarn stehen an meinem Zaun und sehen zu, wie ich mich dem Elend nähere, wie ich mit ihm verschmelze. Meine verschwimmenden Augen suchen und finden nichts als Schmutz und stinkende Masse von verbranntem Zeug. Die dünne Neuschneedecke macht es auch nicht besser.
Das obere Stockwerk besteht nur noch aus einem Fragment des Fußbodens, an dem mein Bett an einem der Beine kopfüber herabhängt und seinen Inhalt verloren hat. Und damit meine ich durchaus auch mich selbst.
Hier und dort finde ich noch ganze Teile, unbrauchbar durch Ruß und Löschwasser, aber erkennbar. Ein Stahlkoffer zum Beispiel, indem ich Fotos und Papiere aufbewahrt habe. Er liegt aufgeklappt mit der Öffnung nach unten auf verkohlten Resten des Inhalts. Dann entdecke ich ein Stück meines Lebens. Den blauen Tee-Pott. Heil, aber verrußt. Ich umschließe ihn und verberge ihn unter der dicken Jacke, die mir nicht gehört.
Ich höre, wie hinter mir auf der Straße ein großes Auto hält. Ich wende mich um. Ein ganzer Trupp Männer betritt meinen Garten. Der Erste wirft mir einen bösen Blick zu, fragt, was ich hier zu suchen hätte und befiehlt, mich sofort von dem Brandort zu entfernen.
Ich sage ihm, wer ich bin. Da tut es ihm leid, das Unwirsche. Sie seien von der Brandermittlung und ich dürfe diesen Ort noch gar nicht betreten. Ob ich etwas entwendet hätte? „Nein“, sage ich und drücke meinen Tee-Pott enger an mich. Wenn sie ihn mir wegnehmen würden – unerträglich wäre das.
Ich schleiche mich von meinem eigenen Grund und Boden zur Straße und laufe direkt in ein Blitzlicht hinein.
„Landbote“! , ruft mir ein älterer Mann entgegen, ohne seine Kamera abzusetzen. Die junge Frau neben ihm stellt sich ebenfalls so vor.
„Sind Sie das Opfer?“ fragt sie.
„Das Opfer?“, frage ich zurück.
„Das Opfer! Hat Ihnen das Haus gehört?“
„Ja, das ist – das war mein Haus.“
„Dann sind Sie also das Opfer.“
Ich verstehe nicht. Ich bin doch nicht tot. Ein Opfer hat doch tot zu sein, oder?
Der Fotograf und die junge Frau sehen sich an und er tippt sich an die Stirn.
Sie lächelt und gibt mir die Hand, nennt ihren Namen, den ich sogleich wieder vergesse. „Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“
In rasanter Abfolge stellt sie. Wie alt ich sei, ob ich allein in dem Haus gelebt hätte, warum es gebrannt habe und so weiter. Ich versuche, freundlich zu sein und alles zu beantworten.
„Sind Sie gut versichert?“ ist eine ihrer letzten Fragen, aber da ist sie schon an der Antwort nicht mehr interessiert. Sie wendet sich den Brandermittlern zu.
Ich drehe mich um und gehe zur Pension zurück.
In meinem Kopf brennt es. Also nicht richtig. Aber die Worte brennen sich ein: Sind Sie gut versichert?
Wo hatte ich das in der letzten Zeit schon einmal gehört? In welchem Zusammenhang? Ich konnte mich einfach nicht erinnern. Wenn ich begann, mich dazu zu zwingen, verwehten die Worte wie Nebelschwaden über einer Flussniederung.
Erstaunlicher Weise verspüre ich Hunger und denke: Wie kannst du Hunger haben, wo alles weg ist. Aber ich habe Hunger und dunkel weiß ich ich um meinen Überlebenswillen.
Elke steht in der Tür, winkt mir zu. Als habe sie meine Gedanken wahrgenommen, hat sie ein großes Frühstück gemacht und in der Küche ist es warm.
„Du musst was essen, Deern. Alles andere kann warten. Wohne vorerst bei uns. Ist ja noch keine echte Saison.“
Elke hält ihren kleinen Hotelbetrieb gut in Schuss. Ab und an bedauert sie es, nicht anbauen zu dürfen. Landschaftsschutz oder wie das heißt. Sie könne das Dreifache an Gästen haben, wenn sie mehr Raum anbieten könne. Die Leute kommen zum Angeln her, Bootstouren werden angeboten; auch das Danewerk ist für viele Gäste nicht uninteressant. Die Nähe zu Dänemark spielt sicher ebenfalls eine Rolle und natürlich gibt es begeisterte Boßler, die gerade jetzt im Winter ihren Spaß haben und von Elkes Mann betreut werden.
Pension und Nebengebäude sind in gutem guten Zustand. Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen. Dieser Spruch, auf ein Tuch gestickt, hängt an der Küchenwand.
Ich hatte mein Haus und Grund geerbt. Erworben habe ich es nicht, außer vielleicht durch die Liebe zu den Großeltern. Nun war alles weg. Und – war ich gut versichert? War es Brandstiftung? Wer hatte vor gar nicht langer Zeit diesen Satz zu mir – oder zu jemand anderem in meinem Beisein gesagt? Wer? In meinem Kopf wabert weiterhin Nebel.
Elke schwatzt, wie es ihre Art ist. „Es wird schon wieder“, sagte sie, „alles Weitere später.“
Die Leute aus dem Dorf Dorf kommen mit Neugier, aber mehr mit Trost. Viel wird hier ohnehin selten gesprochen, aber das Notwendige. Jeder bringt etwas mit. Eine Kleinigkeit. Etwas zum lesen. Unterwäsche, warme Kleidung, vieles andere mehr. Schuhe sind problematisch. Ich lebe auf großem Fuß. Als ich das denke, muss ich lächeln.
„Na, siehst du“, sagt Elke, „wird schon wieder.“ Doch die Tränen drücken in meinem Hals. Wenn meine Wut die Trauer übersteigt, weil mir das Haus abgefackelt wurde, dann werden die Tränen fort sein. Dann lache ich, denn dann muss jemand dafür zahlen.
Wer hatte das mit der Versicherung gesagt. Ich kann mich nicht erinnern, aber aus Gründen, die mir noch nicht einfallen, scheint es wichtig zu sein.
Unser Bürgermeister kommt, steht verlegen in der Küche. Übergibt mir einen Umschlag. „Hier, Rike, ein Notgroschen aus der Dorfkasse“, sagt er und „ich muss dann mal wieder...“
Elkes Mann steckt den Kopf in die Tür, fragt nach irgendeinem Schlüssel. Sie antwortet ihm. Alles Alltäglichkeiten, so normal und doch so unwirklich.
Das Telefon klingelt. Elke reicht mir den Hörer. „Für dich“, sagte sie, „es ist die Polizei.“
Ob ich es einrichten könne, am nächsten Morgen nach Friedrichstadt zu kommen? Für weitere Ermittlungen? Ich kann. Nichts Wichtigeres steht auf dem Tagesplan meiner Zukunft. Matthias, unser Dorf-Taxifahrer, bietet an, mich umsonst zu fahren. Das nehme ich gern an, weil mein Auto es ohnehin grad nicht tut.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, meine krausen Gedanken zu ordnen. In schwierigen Lebenslagen helfen mir Spaziergänge an der frischen Luft.
Zum Abend finden sich Freunde und Nachbarn ein, geben mir ein Gefühl von Geborgenheit. Ich bin ihnen dankbar. Die verkohlten Finger meines Hauses verschwinden im Dunkel der Nacht und ich kann mit Doktors Hilfe wieder durchschlafen.
Am nächsten Morgen fährt Matthias mich nach Friedrichstadt. Auf dem Weg dorthin unterhalten wir uns über das Feuer, als hätten wir einen netten Kinoabend verbracht. Auch er fragt nach meiner Versicherung. „Aber wenn es Brandstiftung war, kannst du lange auf dein Geld warten.“ „Das ist mir ein großer Trost“, antworte ich, merke, dass mein Humor nicht auch in Flammen aufgegangen ist.
Wie Regentropfen in einer Pfütze kleine Kreise bilden, breitet sich der Satz mit der guten Versicherung in meinem Kopf aus, löst den Nebel langsam auf. Das Bild wird klarer, verfestigt sich.
Das Erntefest vor zwei Jahren. Wir tanzten ausgelassen und setzten uns erhitzt auf die kleine Bank neben dem Scheunentor. Da war Robert noch bei mir. An diesem spätsommerlichen Abend fragten wir uns, was die Welt koste.
Dann und wann wehten Wortfetzchen zu uns.
Wichtiges, also für einen selbst ganz wichtiges wie den eigenen Namen scheint man immer wahrzunehmen, auch wenn die Musik sehr laut ist; wenn etliche Gespräche an der Geräuschkulisse teil haben, unsere eigene Unterhalt dazu; egal, als ich meinen Namen hörte, leise gesprochen, noch leiser danach das weitere Gespräch, horchte ich genauer hin.
Irgendwer sprach über mich. Über mein Haus.
Ich hörte eine Stimme flüstern, 'dass sie den Boden schon verkaufen würde, wenn das Haus nicht mehr wäre...' oder so ähnlich.
Die Antwort konnte ich nicht verstehen. Ging es wirklich um mich? Vermutlich war ich gar nicht gemeint. Mein Name war nicht so selten.
Und weshalb sollte ich wohl verkaufen?
Robert holte etwas zu trinken und das Gespräch schien beendet oder die anderen waren weitergegangen.
Ich vergaß die ganze Sache. Die ausgelassene Stimmung, der Wein an diesem Abend, Lieder, die wir sangen – alles bestens.
Jetzt, jetzt kommt mir wieder zu Bewusstsein, dass in diesem Zusammenhang der Satz gefallen war: Die ist doch bestimmt gut versichert.
Wer hatte das gesagt und gibt es einen Zusammenhang mit dem Brand der vorletzten Nacht? Zwei Nächte sind schon vergangen. Die Erde dreht sich in schwindelerregendem Tempo und manchmal verlieren wir die Balance.
Im „Landboten“, den Matthias beim Tanken kauft, hat es unser Dorf auf die Titelseite geschafft. Fast freue ich mich darüber. Wie blöd ist das denn? Es ist der Schock. Sicher.
Die Schlagzeile gibt sich bedeutungsschwer:
War es Brandstiftung? Daneben ein Foto von mir in dicker Jacke, die nicht meine ist, die Hände gegen den Bauch gedrückt. Ein schlechtes Foto. Ein weiteres mit verkohlten Resten meines Hauses.
Der Artikel strotzt von Mutmaßungen, Spekulationen. Worte, mir in den Mund gelegt, die ich nie gesagt habe. Oder doch? Ich war mir nicht mehr sicher.
Matthias hält an. Ich schaue auf. Er weist auf das Haus mit dem Schild POLIZEI. „Wir sind angekommen.“ Ich steige aus und mein Fahrer gibt mir seine Handynummer. „Nur für den Fall, dass die Polizei dich nicht nach Hause bringt.“
Nach Hause? Ich habe keines mehr.
Unsicher betrete ich den Eingangsbereich.
Man nimmt mich sehr freundlich in Empfang, fragt, ob ich etwas trinken wolle. Wasser? Tee? Kaffee?
„Wasser“, antwortet ich, „gern Wasser.“
Danach bleibe ich eine Weile mit mir und meinen Gedanken allein. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen die beiden Kommissare von gestern. Sie begrüßen mich und nehmen mir gegenüber Platz. Ihre Blicke sind freundlich und so mitfühlend. Offensichtlich wissen sie schon, dass ich mein Haus nicht selbst angezündet habe. Sie erläutern mir, dass die Befragungen im Dorf noch nichts ergeben haben. Einer von beiden greift in einem Karton und reicht mir einen kleinen Gegenstand. Er fragt: „Gehört der Ihnen? Ein Schlüssel. Er wurde unmittelbar bei der völlig verkohlten Haustür gefunden, aber in das noch intakte Schloss passt er nicht.“ Ich erkenne ihn sofort. Ein besonderer Anhänger macht ihn einzigartig. Eine kleine Boßelkugel aus rotem Metall. Mir gehört er nicht.
Nur ein Mensch im Dorf hat einen solchen Schlüssel. Der Nebel in meinem Kopf verflüchtigt sich nun endgültig und ich weiß alles: Wem dieser Schlüssel gehört, wer auf dem Erntedankfest meinem Namen flüsterte und von der Versicherung sprach, wer mir mein Obdach nahm. Die, die gern eine etwas größere Pension hätte.