Am Anfang war Stille in der Weite.

Wasser und Land besitzerlos und
im frühen Gras,
in klarer Luft, im ursprünglichen Wasser
tummelten sich die Bewohner
eines wunderschönen Himmelskörpers.
Liebe und Verantwortung füreinander
waren oberste Gebote, und jedes einzelne
Wesen richtete sich danach,
ohne, dass Gesetzesbücher als Vorlage dienten.
Raum für alle hatte dieser Planet,
der von einem Gestirn - auch Sonne genannt -
erwärmt wurde und so Leben erhielt.
Die Wasseroberflächen dieser Erde verdampften
durch die Hitze der Sonne;
der Wasserdampf stieg auf in den Himmel,
ballte sich dort zu Wolken,
um als Regen zu fallen,
in die Erde zu tauchen,
die Wasser wieder zu vermehren
und den Kindern dieses Paradieses
Lebenskraft zu geben.
Die Trabantin der Nacht bestimmte
die Gezeiten und begleitete ihre
Erdschwestern durch die Jahre
der Fruchtbarkeit.
Kinder der Liebe wurden geboren,
wenn Zeit und Nahrung es zuließen.
So vergingen viele Zeitalter
- namenlos -
im Wechsel von
gut und weniger gut,
doch alles hatte seinen Platz
und seine Ordnung.

Als das Zeitalter der Heuschrecke begann,
blieb nichts mehr wie es war.
Das Gleichgewicht stürzte ins Chaos,
denn Land und Wasser wurden käuflich.
Notwendigkeiten wurden zu Ware,
die ohne Notwendigkeit in einer
immer größeren Menge produziert wurde.
Zeit war nicht mehr länger
HELL und DUNKEL,
sondern Fünf Uhr morgens
und Achtzehn Uhr abends.
Die Mondin konkurrierte vergebens
mit den Lichtern,
die die Nacht zum Tage machten,
und drang nicht mehr
mit ihrem weisenden Licht
zu ihren Schwestern,
mit denen sie das Geheimnis
der Entstehung des Lebens
teilte. So wurden immer
häufiger Kinder geboren, obwohl
weder Zeit noch Nahrung für sie war.
Und die Sonne schien wie zuvor.
Sie brachte das Wasser
der Meere und Flüsse
nach wie vor zum Verdampfen.
Wolken ballten sich zusammen
und regneten ab.

Der Regen aber fiel nicht mehr
ungehindert auf die Erde,
denn der schmutzige Rauch
der Fabriken, in denen die
Unnotwendigkeiten in großen
Mengen hergestellt wurden,
verband sich in der ehemals klaren
Luft mit dem Regen und fiel
mit ihm zusammen in dreckigen Tropfen
auf Wasser und Land.

Und dort, wo das lebensnotwendige Nass
in das Erdreich dringen wollte,
um Pflanzen zu nähren und so zu Nahrung
für die Bewohner des Planeten zu werden,
war nun Asphalt.
Für diese Welt notwenig gewordener Asphalt.
Denn die Fabriken
mussten mit Material gefüttert werden,
welches sie zur Herstellung der
unnötigen Waren in Mengen benötigten.
Diese Massen konnten aber nicht von
Menschenkraft allein transportiert werden.
Es brauchte große Fahrzeuge.
Und diese brauchten den Asphalt,
um darauf zu fahren. Immer schneller zu fahren.
Das Trinkwasser wurde mancherorts knapp
und anderswo ungenießbar.
In das Vokabular der Menschen
hielt das Wort STRAFE Einzug,
und die Verantwortung wurde per Gesetz geregelt.
Für Liebe war keine Zeit,
denn der Tagesablauf wurde festgelegt.
Während die Menschen sich plan- und lieblos
vermehrten, starben die übrigen Bewohner
des Planeten langsam aus.
Der Platz auf der Erde wurde knapp,
und vielenorts verhungerten ganze Völker.
Um die Aufteilung der restlichen Nahrungsmittel
kam es zu schweren Kämpfen,
an denen sich die selbsternannten
oder gewählten Anführer der Menschen
selten beteiligten.
Sie konnten meist ohnehin besser reden als kämpfen
und für ihre eklen Geschäfte
hatten sie ihre bezahlten Söldner und Handlanger.
Für die Entwicklung von immer schrecklicheren
Waffen gab es Preise und Prämien,
und die höchste aller bekannten Prämien
erhielten eines Tages die Erfinder
einer Riesenheuschrecke,
die - ferngesteuert - in Feindesland
alles Leben vernichten sollte.


Fehler werden bei großen Entwicklungen
immer gemacht. Keiner vermag alles genau
voraus zu berechnen, selbst wenn er sich noch so bemüht.
Denn das Rieseninsekt gehorchte
den Manipulationen seiner geistigen Väter nicht.
Einmal in Gang gesetzt,
hörte es mit der Vernichtung nicht auf,
nicht an der Landesgrenze, nicht im eigenen Land.
Und da es einen überaus hochentwickelten
Mechanismus besaß, konnte es auch nicht
wieder zerstört werden.
Eine Waffe, die es hätte vernichten können,
war nicht vorgesehen.
Und bevor noch irgendein klügerer Kopf
Pläne für eine solche Waffe machen konnte,
gab es auch niemanden mehr,
der diese Pläne hätte ausführen können.
Es gab kein Leben mehr auf der Erde.
Die Heuschrecke hatte ganze Arbeit geleistet.

Der Zerstörungsapparat hatte eine Halbwertzeit
von 24100 Jahren.
Nachdem er dann endlich zerfallen
und unbrauchbar geworden war
und seine Reste über die Lande verweht,
war Stille in der Weite. Land und Wasser
waren unverkäuflich und
das neue junge Gras,
die reine Luft,
das quellfrische Wasser
harrten der Leben, die vielleicht
kommen würden.

erschienen im Band „Lyrik und Prosa", edition feldhase, 1990