oder: Kein Problem, bis drei zu zählen?

Vor meiner Reise nach St. Petersburg hatte ich ein paar Ideen, die sich nicht umsetzen ließen. Unter anderem hätte ich gern mein Rad mitgenommen. Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich daran hänge. Wenn andere Leute in ihren Pkw steigen und dies ihnen ein Gefühl von Heimat vermittelt, solange sie darin fahren, empfinde ich ähnliches, wenn ich mein Rad bei mir habe. Ich wollte in der fremden Stadt möglichst viel sehen, aber nicht ständig Geld für öffentliche Verkehrsmittel ausgeben, zumal die Metro dort ausschließlich unterirdisch fährt und so den Blick auf die Gegend geradezu hemmt. Also sprach ich noch einmal bei meinem Reisebüro vor und fragte nach der Möglichkeit, entweder das Rad mitzunehmen - ich fuhr ja per Schiff und musste nicht auf Gepäck/Gewicht achten - oder in Petersburg ein Rad zu leihen.
Welch ein Ansinnen!
Meine Ansprechpartnerin, eine ganz feine Dame um die 50 mit einer schicken Lockenfrisur und einem passenden hellblauen Kostüm schüttelte bedauernd den Kopf. Weder das eine noch das andere sei möglich. Es sei in Petersburg schlichtweg nicht üblich, mit dem Rad zu fahren. Es gebe dort auch keine Radwege und der Verkehr sei mörderisch bei 5 Mio. Einwohnern. Das konnte ich nachvollziehen und gab meinen schönen Plan auf, ein wenig verwundert über die ablehnende Haltung der Petersburger gegenüber diesem umweltschonenden und praktischen Gefährt.

In Petersburg angekommen und ein wenig akklimatisiert, entdeckte ich die Richtigkeit der Behauptung, dass es keine Radwege gibt. Es gibt wirklich keine. Keinen einzigen irgendwo. Es gab auch am Verlauf mancher Straßen keinen Gehweg, aber das nur nebenbei.

Ich hatte das Glück, mit einem Russen namens Valeri eine private Rundfahrt machen zu dürfen - Cpassiba, Valeri. Er zeigte mir ein paar der Petersburger Sehenswürdigkeiten. Auf unserer Rundfahrt erzählte ich ihm von meinem ursprünglichen Plan mit dem Rad. Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein", antwortete er mir, „hier fahren Leute kaum mit dem Rad. Sie werden in Petersburg vielleicht zwei, drei Räder finden."
Zum Beweis sah ich gleich darauf meinen ersten Radfahrer in Petersburg. Er nutzte den breiten Gehweg auf der
Nalichnaya ulitsa und die Fußgänger schauten ihm nach, als sei seine Unternehmung ein bisschen kriminell.
„Das war Nummer eins der drei Petersburger Radfahrer", sagte ich zu meinem Begleiter. Er lachte.
Vor der Eremitage angekommen, begegneten wir dem zweiten Rad fahrenden Petersburger. Nein, es war nicht derselbe wie zuvor. Er war kleiner und er fuhr ein Damenfahrrad.
Nun hatte mich das Jagdfieber gepackt, denn schließlich waren mir schon zwei Räder begegnet. Aber das Glück blieb aus. Während der gesamten Stadtrundfahrt zeigte sich kein weiterer auf einem Zweirad. Noch nicht einmal ein Kind auf einem Dreirad, das ich zur Not hätte mitzählen können.

Aber dann, kurz vor der Heimkehr in mein Urlaubsdomizil, lachte mir das Glück. Ich sah am Ufer der Smolenka  eine Frau auf einem richtig tollen Mountainbike. Das machte zusammen drei und alle hatte ich gesehen. Toll!

Ein paar Tage später sah ich noch ein viertes Rad, auf dem eine Frau mit einem Kleinkind in der Nähe der Metrostation Primorskaya auf dem Gehweg fuhr. Ihr starrten die Menschen nach, als sei sie frisch von einem fremden Planeten importiert oder gehörte zu dem ständig in der Stadt anwesenden Zirkus.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie sich nicht das Fahrrad von weiter oben ausgeliehen hat. Dann zählt es nicht als zusätzliches!
So gehe ich davon aus, dass die Voraussage der drei Rad fahrenden Petersburger sich zu 100% bewahrheitet hat.

Insgesamt war ich froh, mein Rad in Hamburg gelassen zu haben. Wer weiß, welche Probleme außer der schon an sich schwierigen Registrierung meiner Person es gegeben hätte.