Спас на крови
Iwan der I. hatte den Beinamen „der Geldsack“, vermutlich waren seine Truhen gut gefüllt. Es gab auch noch Iwan, den Schrecklichen. Auch dieser Name spricht für sich. Zar Peter der Große, der St. Petersburg „gegründet“ hat, hätte gut den Beinamen „der Herr der Steine“ tragen können, denn mit Beginn des Aufbaus von St. Petersburg durften in ganz Russland keine Steine anderswo als nur eben an dieser Stelle verbaut werden. Auch, dass er ca. 20000 Leibeigene glatt beim Bau verschlissen hat, sagt sein Name nicht aus. Dafür wird er überall in der Stadt als großer starker Reiter gezeigt. Und Zar Alexander hieß „der Befreier“ mit Beinamen. Nun, das kann man hinnehmen, denn er tat zu Beginn viel Reformistisches.
Viele Zaren starben eines unnatürlichen Todes, wurden gemeuchelt, steckten sich mit schlimmen Krankheiten an und wurden von ihren eigenen Nachfolgern ums Leben gebracht. Viele. Auch Zar Alexander, der „Befreier“. Was hübsch klang, war wieder anderen ein Dorn im Auge. Hier waren es die „Nihilisten“, das sind jene, die eigentlich nix wollen außer ihre eigenen Standpunkte durchsetzen. Aber das wollen andere schließlich auch, weshalb solche Bewegungen zum Scheitern verurteilt sind.
St. Petersburg hat es in sich. Viele Türme, viele Kirchen aller religiösen Richtungen, Synagogen und Museen. Von fern sieht man die goldenen Dächer blinken und blitzen und – wer in St. Petersburg weilt – sollte es nicht versäumen, das eine oder andere Bauwerk anzusehen. Ja, auch hineingehen, wenn es sich um historische Gebäude handelt. Die Erlöserkirche – auch Blutkirche genannt - steht bestimmt für die Historie. Sie wurde „auf dem Blut“ Zar Alexander des II. erbaut. Genau an der Stelle, an der er im Jahre 1881 einem Bombenattentat zum Opfer fiel – von den weiter oben schon erwähnten Nihilisten, die weder Zar noch Zimmermann haben wollten - , als er auf dem Rückweg zu seinem Winterpalast war. Die erste geworfene Bombe verletzte ein paar seiner Kosaken aus der Leibgarde schwer, der Zar wollte den Männern wohl zur Hilfe eilen, verließ seine schützende Kutsche im Bewusstsein, dass die Bombe gezündet und keine Gefahr mehr drohte. Aber der Attentäter hatte vorgesorgt. In Vorjahren hatte Zar Alexander Attentate sämtlich überlebt und auch bei diesem verletzte die Bombe vorerst nur besagte Leibgarde-Kosaken. Der Zar dankte laut seinem Schöpfer, indem er rief: „Gott sei dank, ich bin unverletzt!“ - so ist es überliefert. Ebenso ist überliefert, dass einer der fünf später verhafteten und hingerichteten Attentäter ihm widersprach und ausrief: „Zu früh dankst du deinem Gott!“ und warf eine zweite Bombe, die den Zaren nun so schwer verletzte, dass er Stunden später verstarb.
Die Erlöserkirche beinhaltet die Gebeine des Zaren in einer kleinen Kapelle, die inmitten der Kathedrale steht. Im Raum, der schummerig beleuchtet ist, gibt es viele Nischen und Ecken, in
denen goldenes Schnitzwerk zu bestaunen ist, Heiligenfiguren und Bilder. Es gibt auch Verkaufskioske, die außer Fotobänden anderer Kathedralen und Kirchen, Heiligenbildchen und etlichem, was sich
Menschen aus solchen Häusern mit nach Hause nehmen, auch den üblichen Touristenkitsch, der an diesem Ort seltsam anmutet, anbieten. Wodka-Gläser stehen neben Reiterfiguren, die Zar Peter zeigen;
Abbilder der Kunstwerke von Newas Brücken im Kleinmodell – einige lassen sich richtig klappen!
Ich wurde von zwei jungen Studenten zu der Kirche begleitet, die nun aber draußen geblieben sind. Sie erklärten, dass sie die Kathedrale schon häufig gesehen hätten. Der Eintritt ist aber auch ziemlich teuer. Ich hätte sie eingeladen, aber sie wollten nicht. Vielleicht sagt dieses Gotteshaus ihnen nicht zu, obwohl es nie sakralen Handlungen gedient hat. Wer weiß das schon. Rings um die Kathedrale bieten kleine Buden Souvenirs dar. Das ist hier wie auf der ganzen Welt so: Wo immer Menschen neugierigen Blickes auf Historie schauen, die auch noch blutgetränkt sein soll, machen andere gute Geschäfte. Der Schauder lockert die Geldbörsen.
Nach dem Erstehen einer Eintrittskarte – die Schlange war zum Glück nicht zu lang – betrete ich das Haus, das von außen wie eine Trutzburg wirkt, die sich zur Feier des Tages ein paar verspielte Zwiebeltürme auf den Kopf gesetzt hat.
Ich bestaune ganz für mich all die eingebauten Schätze an Wänden und bestaune noch mehr die Fresken an der Decke hoch oben in der Kathedrale. Aufgebaut ist die Kathedrale neben dem Gribojedow-Kanal, der sie auf einer Seite zur Stadt abgrenzt – und wie sollte es anders sein, liegt sie ganz in der Nähe des Newski-Prospekts. In mir drängt sich der Eindruck auf, dass ALLES irgendwie am oder in der Nähe des Newski-Prospekts liegt.
Meinen Aufenthalt in dieser Kirche, in der heute ein Museum untergebracht ist und es an den Menschen selbst liegt, ob und zu wem sie beten möchten, teile ich mit weiteren 150 Leuten - grob
geschätzt. Da drängelt es sich ganz schön an einigen Stellen und ich muss mich manchmal durchwursteln, um die Dinge, die zu sehen sind, zu sehen. Schade, dass ich die russischen Inschriften
nicht lesen kann; sind bestimmt sehr interessant. Übersetzungen gibt es leider nicht dazu.
Gemurmel und leises Geflüster in vielen verschiedenen Sprachen dringt an mein Ohr. Es ist wie das Rauschen in einem Birkenwald bei leichtem Wind. Ein paar Wortfetzen verstehe ich mitunter und dabei fällt mir wieder auf, wie weit doch die Sachsen gekommen sind. Ein paar Engländer sind auch in der Kathedrale und ich höre immer mal wieder Ausrufe des Erstaunens: „Oh, my god, look at this!“ Und da wollen sie sich auf die Münder schlagen, weil es doch zwischen all dem Geraune laut war.
Nach ungefähr einer Stunde habe ich – glaub ich alles gesehen und tauche in die Abenddämmerung von St. Petersburg, die leider – mal wieder – mit Regenschauern nicht ganz die Helligkeit einer weißen Nacht verspricht.
Mit "meinen" beiden Studenten, die geduldig am Ufer des Kanals auf mich gewartet haben, suchen wir ganz in der nähe ein Szenelokal auf, das „Красочная собака“ heißt. Auf Russisch. Übersetzt hieße es "Der bunte Hund", wie mir die Studenten erklären. Es handelt sich um eine Künstlerkneipe, in der vermutlich hauptsächlich berühmtere Künstler verkehren, denn die Preise sind entsprechend. Aber für Tee und Kuchen reicht es. Ich selbst habe wirklich Hunger und so bestelle ich von der auch auf Englisch gedruckten Speisekarte ein „Lachs-Sandwich“. Was serviert wird, ähnelt einem Hauch von Toast – die auf Dreieck geschnittene Hälfte einer Scheibe, gekrönt von einer Rosette aus Lachs, aus super dünnem Lachs, wie es Sushi nicht besser hin bekommen hätte. Oben drauf thront ein vornehmer Klecks Majo und die Rüsche eines Petersilienblattes liegt daneben. Zwei Happse und es war in meinem Innern, um meinem Magen zu erklären, dass nichts mehr nachkommt.
Das Landesmuseum, in welches meine beiden Begleiter mich noch entführen wollten, hatte schon geschlossen. Pech! So sind mir weitere Wege durch nicht endende Gänge und Gemälde erspart geblieben und der wolkenverhangene Himmel über der Newa begleitet mich nach Hause.