Ein unbedingtes Muss ist der Besuch der Eremitage, wenn man in St. Petersburg weilt - egal, ob kurz oder lang. Lang wäre besser, weil allein die Eremitage mit dem daran angeschlossenen Winter- und Sommerpalast des Zaren Peter eine Woche in Anspruch nehmen könnte, wollte man alles mit dem gebührenden Respekt und auch Abstand betrachten. Hier geht es ja nicht allein um die wechelnden Ausstellungen mit Kunstschätzen aus aller Welt, nein, die Gebäude sind schon ohne Inhalt ansehens- und bewundernswert.
Bei Ankunft ist es ratsam, zu Beginn der Öffnungszeiten vor dem Portal zu sein, es sei denn, man möchte sich ein wenig die Beine in den Leib stehen. Touristen in Scharen, Schüler- und Studentengruppen, Alte und Junge, greinende Kinder - weil die sicher lieber woanders hin möchten - und dazu das überaus liebenswerte Wachpersonal sind mit von der Partie. Letztere sollen auch für Auskünfte hilfereich sein - sollen. Wollen tun sie solches vermutlich nicht. Ich habe selten so lustlose mürrische Gesichter gesehen wie an diesem Tag. Aber das lag sicher an dem leise vor sich hin strömenden Regen, der die Luft mit dem Wasser der Newa vermengte und keine Urlaubs- oder Sonnenlaune aufkommen ließ. Aber schließlich wollten wir ja auch nicht baden gehen, sondern endlich die vielgerühmten Säle des Palastes besichten. Also - ich wollte eigentlich nur den Winterpalast sehen, aber die Sprachschwierigkeiten nahmen wieder mal kein Ende. Dass ich auch immer noch kein Russisch konnte!
Schließlich hatte auch ich meine Eintrittskarte zur gesamten Eremitage in den Händen und suchte nun die Garderobe, denn keinesfalls wollte ich meinen Regenmantel in diesen schönen Hallen mitschleppen. Ich sah ein Schild, welches irgendwie aussah, als ginge es dort zur Garderobe. Leider ein Trugschluss und ich musste mich wieder bemühen, jemanden zu finden, der willens und mächtig war, mir etwas in einer Sprache zu erklären, die wir Beide verstehen würden. Der „echte" Einlass war ein kleines Drehkreuz und man musste seine Karte einer jungen uniformierten Frau hinhalten. Diese fragte ich, indem ich auf meinen Mantel zeigte, ihn halb auszog und mit den Schultern zuckte - also mit diesen Körperzeichen - nach der Garderobe. Und siehe da! Sie sprach Englisch. Zumindest dies: No, no, no. Not allowed.
„What?" Ich fragte nun auf Englisch, wo ich meinen Mantel abgeben könne und sie antwortete:
„It is not allowed to take the coat in. You must leave it there."
Und damit wies sie mit einem ausgetreckten Finger auf jenes Schild, welches ich schon einmal missverstanden hatte. Aber ich hatte es gar nicht missverstanden. Es stellte sich nämlich heraus, dass
es wirklich das Schild war, was zur Garderobe wies. Aber sie hatten es leider nicht umgehängt, als sie begannen, die Eremitage zu renovieren und damit ein paar Gänge und Räume nicht mehr
zugänglich waren. Die Garderobe war also nur woanders und schließlich fand ich sie auch. Ich möchte meine Leser nicht unnötig der gleichen Qual des nochmaligen Fragens, wo denn die Garderobe
jetzt sei, aussetzen.
Nun hatte ich also Zugang und Erlaubnis ohne meinen Regenmantel, aber um ein paar Gedanken reicher, zu den prachtvollen Palastsälen der Eremitage. All überall waren sie zugegen, die vormals
erwähnten anderen Besucher inklusive der greinenden Kinder, die bestimmt doch gern woanders hin gewollt hätten. Es nützte ihnen nichts und ist überall auf der Welt gleich, wenn man mal vom Museum
für Hamburgische Geschichte oder dem Kiekeberg absieht. Da sind Kinder gern, weil es auch etwas für sie gibt.
Hier in der Eremitage gab es auch etwas für sie, aber das wussten sie nicht. Doch dazu später.
Erst einmal müssen Sie tapfer sein und mit mir durch viele, viele Säle gehen. Immer den Blick auf das Grandiose gerichtet, das Gold, den Prunk und die Schönheit, die an manchen Stellen mein Herz
anrührte. Es gab jede Menge, aber wirklich jede Menge wunderbarer Dinge zu bestaunen, die ich im einzelnen hier nicht auffahre, weil sie kaum so zu beschreiben sind, dass es der Leser genau so
sieht. Das kann man viel besser im Internet oder in Büchern nachschlagen und dort erfahren, wie alt die ausgestellten Türschlösser sind und mit welcher Phantasie die Künstler den Mächtigen dieser
Welt zu Gefallen waren und immer noch sind
Lassen Sie uns aber ein kleines Weilchen vor dem schönen Brunnen stehen, der an der Wand eines der Räume angebracht war. Ein Brunnen, der - falls in Betrieb - Kaskaden von Wasser über mehrere muschelförmige Becken laufen ließ. Ich stelle mir einen Sommertag in Petersburg vor - ja, die gibt es durchaus. 35°C + und mehr - und lausche dem Klang des Wassers, wie es über die einzelnen Stufen in den letzten großen steinernen Ring plätschert, Kühle verspricht und den erfrischt, der sich hier nieder lässt. Leider ist der Brunnen nicht in Betrieb. Das wäre auch vermutlich problematisch, schließlich steht er im Inneren der Eremitage und nicht im Innenhof derselben.
Ein paar Gänge weiter ist die Welt wieder mit Tüchern verhangen und mit Spanplatten vernagelt. Ein Schild in mehreren Sprachen weist darauf hin, dass hier Umbauten vorgenommen werden und eine besondere Ausstellung in Vorbereitung ist. Nun, es gibt auch sonst viel zu sehen und ich will gerade einen anderen Gang entlang, da schauen mich unter einem der Tücher zwei gelbe Augen an. Katzenaugen. Groß und neugierig, aber auch wissend - wie Katzen so einmalig schauen können. Ich gehe ich die Hocke und die Katze - es ist eine orangefarbene - kommt mit ihrem ganzen Kopf unter der Abhängung hervor. Sie lässt sich auf einen etwas einseitigen Dialog ein und dann hat sie ziemlich schnell verstanden, dass ich eine unter vielen bin, eine einfache Touristin. Nichts Besonderes. Keine Zarentochter oder etwas in dieser Art. Sie macht eine Kehrtwendung und ich denke, dass der kleine Ton, der aus ihrem winzigen Mäulchen zu hören ist, vielleicht - wenn ich großes Glück habe - ein „Tschüss" war. Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich ihr Hinterteil mit einem hochgestreckten Schwanz, jeder Zoll eine Aristrokratin, vermute ich. Dann ist die ganze Katze verschwunden und es ist so, als sei nie eine da gewesen.
Jetzt, jetzt zum Beispiel, hätte ich gern eines dieser greinenden Kinder an meiner Seite gehabt. Ich hätte ihm die Katze gezeigt und ihm erklärt, dass es unnötig sei, zu greinen. Denn solange es Katzen gibt, die uns zeigen, was wir wert sind, gibt es wesentlich schlimmere Gründe als über den Besuch in der Eremigtage zu jammern, auch, wenn man viel lieber woanders wäre. Das greinende Kind hätte gleich einen anderen Grund gehabt, denn ich bin sicher, es hätte diese Katze gern gestreichelt und im Arm gehalten, aber mit echten Aristrokraten ist das so eine Sache. Sie lassen sich von ihren Bediensteten nicht auf den Arm nehmen.
Ich war neugierig, wem diese Katze wohl gehören würde. Hätte ich mich vor der Reise mit der Eremitage ganz innerst auseinander gesetzt, hätte ich es gewusst. Gewusst, dass diese Katze und weitere 40 - 70 in der Eremitage in Lohn und Brot stehen. Und zwar seit Elisabeth, die Tochter von Zar Peter dem Großen und ihrerseits ebenfalls Zarin nach Vaters Tod die Katzen in den Palast brachte. Sie stellen dreisten Mäusen und Ratten nach, die in Petersburg wie in jeder anderen Hafenstadt in millionenfacher Höhe ihr Wesen treiben. Die Katzen der Eremitage sind also Angestellte ihrer Majestät gewesen und sind es heute weiterhin, auch wenn die Majestäten nun keine Zarenkrone mehr tragen. Sie werden bekocht und man sorgt sich um ihre Gesundheit. Sie sorgen ihrerseits im Gegenzug dafür, dass die in der Eremitage lagernden Schätze in den Kellerräumen nicht von den Nagern angefressen und anderweitig beschädigt werden (das Benagen wäre das kleinere Übel, was hinten raus kommt, ist schlimmer für die Schätze!) Das ist ein guter Deal, wie ich meine. Der Palast gibt Katzen, die die Anzahl der zu bewältigenden „Angestellten" auf vier Pfoten überschreiten, gern auch in gute Hände. Andere wiederum meinen, dass die Katzen nirgends so gut aufgehoben sind, wie im Palast und setzen deshalb gern mal ihre eigenen Katzenbabies vor die Haustür der Eremitage - Findelkinder einer zaristischen Tradition, wenn man so will.
Ich war mit dem Rundgang keineswegs am Ende, aber mit meinem eigenen. Viele Stunden hatte ich in der Eremitage zugebracht und ich wurde mir zweier menschlicher Bedürfnisse bewusst: 1. Den Drang nach einem stillen Örtchen und 2. nach einer guten Tasse Kaffee, vielleicht mit etwas dazu.
Das erste fand ich um die Ecke. Bevor ich die Tür zum Raum, den man meist für sich hat, aufdrückte, dachte ich mir, was für eine schöne geflieste Räumlichkeit mich wohl erwarte. Denn in der prachtvollen Umgebung müssen meiner Ansicht nach auch die weniger wertvollen, aber sehr geschätzten Örtlichkeiten mindestens angepasst sein. Wie immer, wenn der eigene Anspruch davon galoppiert, kann es nur mit Enttäuschung enden. Gefliest? Ja, aber nix war mit Pracht. Einfache helle Wände und kein Hingucker. Der kam dann im eigentlichen „stillen" Örtchen. Das Becken aus Nirosta und ohne Brille, wie wir sie an den Autobahnaststätten vorfinden und nicht lieben. Ich zumindest nicht. Kalt und unpersönlich, dafür aber sicher leicht zu reinigen. Hinter dem Becken, das alles aufnimmt, was wir als Körperballast nicht mehr benötigen, hängt ein Schild in mehreren Sprachen, Deutsch fehlt. Also lese ich den englischen Teil:
„Don't throw the toiletpaper after using into the toilet.
Use the pale next to the toilet."
Das muss doch bestimmt ein Übersetzungsfehler sein. Ich soll das Klopapier nach der Nutzung nicht in die Toilette, sondern in den Eimer werfen, der daneben steht? Ein Eimer ohne Deckel? Mit einem schwarzen Plastikbeutel als Innenleben? Na, ich weiß nicht. Aber ich hab's getan. An Regeln, die an der Wand hängen, halte ich mich normaler Weise, vor allem im Ausland. Aber es mutete mich seltsam an. Ich hätte mich auch nicht gewundert, wenn wir statt der gefliesten Räume eine Katzentoilette vorgefunden hätten.
Später erhielt ich Aufklärung über die viel zu enge Kanalisation der Stadt Petersburg und dass es immer wieder und schnell zu Verstopfungen und in deren Folge zu Überschwemmungen der übelsten Art kommt. Da müsste man mal was ändern, oder? Aber das ganze Geld ist vor ein paar Jahren für die 300-Jahres-Feier drauf gegangen und klebt in Blattgold an Türmen und Dächern.
Den Kaffee habe ich übrigens danach noch gefunden. Er schmeckte sehr lecker und ich konnte ganz nebenbei noch Grüße an liebe Freunde daheim senden, denn den Kaffee gab es in einem Internet-Café.
Alles in allem bin ich froh, dass ich wie jeder andere Besucher der Stadt mit den goldenen Dächern in der Eremitage gewesen bin. So kann ich immerhin sagen, ich war dort und das hab ich auch schon mehrfach gemacht. Und jedes Mal wurde ich mit einem „Ah" oder mindestens einem „Oh" bewundert. So habe ich neben den vielen prachtvollen Augenöffnern in der Eremitage auch noch die Bewunderung und den Neid derjenigen, die noch nicht dort waren und nun gern hin möchten. Ich hoffe, sie wollen nicht nur die Schätze an der Wand sehen, sondern auch von den Vierbeinigen im Keller hören.
Meinen eigenen vierbeinigen Schnurrern habe ich von den Katzen in der Eremitage erzählt und sie hörten mir andächtig zu. Dann streckten und reckten sie sich und machten es sich auf der Bank
bequem, überzeugt, dass auch sie jede Eremitage von Mäusen frei halten würden. Es ist schließlich nicht ihre Schuld, dass Hamburg keine Eremitage hat.