Sommer in St. Petersburg. Die weißen Nächte, die vielbesungenen, beginnen und dann ist da auch noch der Gründungstag, der 27. Mai vor etwas mehr als 300 Jahren. St. Petersburg ist festlich geschmückt. Die Brücken über die Newa tragen Schmuck in Form von Flaggen und Fackeln; letztere brennen mit lichten Flammen tags und in den Abend hinein. Viele der öffentlichen Gebäude haben an den Außenwänden drei bis fünfarmige Vorrichtungen, in die heute ebenfalls kleine Fähnchen in den Farben von Petersburg eingesteckt sind. Es wimmelt von Touristen und ein nicht abreißender Strom von Menschen zieht am Ufer der Newa entlang, besteigt die Boote, die ebenfalls prächtig geschmückt den Fluss rauf und runter fahren, zum Beispiel zum Peterhof, der mit einem Boot am besten zu erreichen ist.
Das Ganze wäre in Sonnenlicht getaucht kaum zu überbieten an Schönheit und Freude. Aber es nieselt. Seit Tagen schon. Nach einer sehr frühen Hitzewelle, die die Städter stöhnen ließ, mag es nun gar nicht mehr mit dem regnen aufhören. Doch was schert es uns, die wir ja nicht sonnenbaden wollen, sondern etwas von der Welt, resp. von St. Petersburg sehen wollen.
Am Ufer der Newa liegt eine Dreimast-Bark mit einem russischen Namen, natürlich, den ich nicht übersetzen kann. Irgendwas mit „K", aber die „«Крузенште́рн»" (die Übersetzung erübrigt sich vermutlich, aber hier ist sie dennoch: "Krusenstern") ist es leider nicht; dafür ist der Name am Bug nicht lang genug. Schön ist das Schiff ebenfalls und es wird wie alle größeren Schiffe die Newa nur des Nachts befahren, weil dann die Brücken hochgeklappt werden und so die passierenden Schiffe grüßen. Es ist gut zu wissen, wie man selbst nach Hause kommt, wenn man sich auf der falschen Seite der Newa befindet, denn die Zeiten der Klappöffnungen dauern bis zu zwei Stunden.
Sommer ist in St. Petersburg und die Petersburger verlassen die Stadt, um den Touristen Platz zu machen. Nein, nicht wirklich. Sie ziehen aufs Land - viele von ihnen, nicht alle - weil sie dort eine Datscha haben. Ähnlich unseren Schrebergärten. Dort werden sie kurzfristig zu Selbstversorgern und unabhängig von der Klospülung. An den Wochenenden fahren sie raus und kommen am Sonntag Abend zurück. Oder sie bleiben während der gesamten Ferien dort.
Sommer ist in St. Petersburg und nicht nur die weißen Nächte werden jetzt gefeiert, auch die Schulkinder feiern am 28. Mai den Abschluss eines Schuljahres. Die süße Zeit der langen Sommerferien steht bevor, denn man wird erst am 1. September wieder ein Schulgebäude betreten. Gut, es gibt Ausnahmen. Diejenigen nämlich, die sich auf das Abitur vorbereiten, sie müssen jetzt mit einer enormen Büffelei anfangen und dürfen erst Mitte Juni in die Ferien, die allerdings dadurch erschwert sind, dass sie sich um Studienplätze balgen müssen. Die, die diesem Stress noch nicht unterliegen, verabschieden sich nun mit Reden und Dankesworten, mit Theaterstücken und Ausstellungen von der Schule und umgekehrt. Sie kommen alle in ihrem besten Zeug und singen, was die Stimmen hergeben können. Neben den Zeugnissen werden Blumen verteilt, vielleicht, um die Zensuren zu versüßen, wenn sie nicht so ausgefallen sind, wie man es sich erhofft hat. Die Kinder gehen in Reihen gemeinsam mit ihren Lehrern aus den Klassenzimmern und voran geht ein Kind mit einer Glocke in der Hand. Das läutet das Schuljahr aus. Mit etwas Wehmut, denn vielleicht wechselt man auf eine andere Schule, bekommt einen neuen Lehrer oder die Freunde gehen fort. Es herrscht eine andächtige Stimmung. Der Stunde wird soviel Wichtigkeit beigemessen, dass der St. Petersburger TV-Sender ihr einen eigenen Sendeplatz einräumt. Nicht etwa eine kleine Meldung in den regionalen Nachrichten, nein, eine ganze Sendung. Kinder und Lehrer, Eltern und Verwandte, sprechen ein paar Worte in das Mikro des Journalisten und lassen den Tränen ihren Lauf. Ich selbst bin auch ganz ergriffen. Solche Feierlichkeiten - gibt es die beí uns auch? Ich sehe am Ende eines Schuljahres die Kinder hier aus den Gebäuden stürmen und laut lärmend durch die Straßen ziehen. Endlich Ferien!
In England sangen wir in der Schule am Schluss des Schuljahres:
No more days at school,
no more days in sorrow,
no more days at this rotten place
and we'll be home tomorrow.
Kick the tables, kick the chairs,
kick the teachers down the stairs,
if it hurts them,
serves them right!
Fill the school with dynamite - Whomm!!!
Nichts davon hier in St. Petersburg. Nein, im Gegenteil. Man sagt sich gegenseitig Nettigkeiten und wünscht sich, dass das neue Schuljahr doch bald kommen möge, denn das ist es, worauf sich alle freuen. Wirklich? Wie immer, gibt es hier auch keine Regel ohne Ausnahme. Ich denke, wenn die Reporter weg sind, werden auch die Petersburger Kinder lärmend durch die Straßen ziehen und sich auf die langen Wochen der Schulferien freuen. Alles andere wäre doch unnormal, oder?
Aber schön war es anzusehen, das mit der Abschiedsglocke und so.