Frauen in der Literatur - gestern und heute

Wenn Weiber Reime schreiben, ist doppelt ihre Zier, denn ihres Mundes Rose bringt nichts als Rosen für.

Zitat von Friedrich von Logau (1604-1655)

Dies schreibt ein Dichter und Denker schon im 17. Jh., und Frau wundert und fragt sich, was er denn in gedruckter Form überhaupt von Frauen zu lesen bekommen hat, denn Dichterinnen waren damals rar, zumindest als weiblich nicht erkennbar. Unter denen, die sich dem Schreiben verschrieben hatten, gab es etliche, die niemals Texte mit ihrem eigenen Namen veröffentlichen konnten. Eben weil sie Frauen waren. In dem Taschenbuch "Das deutsche Gedicht vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert" (erschienen in der Fischer-Bücherei) bringt der Auswähler Edgar Hederer den Lesern 100 Dichter nahe. Von diesen einhundert Dichtern sind ganze Fünf weiblichen Geschlechts.

 

Die literaterische Geschichte weist in der näheren Recherche allerdings ganz anderes aus. Auch Frauen haben schon immer geschrieben, nur hatten sie das ausgesprochene Pech, mit dem für die Gesellschaft falschen Geschlecht geboren worden zu sein. Aus diesem Grund wurden ihre Werke nur selten von ganz mutigen "Verlegern" oder aber gar nicht veröffentlicht.

Das brachte einige unserer Ahninnen dazu, einen Rollentausch vorzunehmen. Sie schlüpften namentlich und im Aussehen in die Haut der männlichen Geschlechts-genossen.

 

Belegt sind diese Autorinnen etwa ab dem 16. Jh., vermutlich aber schon früher.

Wer weiß denn schon, dass auch Cornelia Goethe, die Schwester unseres honorigen Johann Wolfgang von... geschrieben hat? Ihr Leben war kurz und tragisch. Beide Geschwister erhielten die gleiche Bildung als Kinder von Hauslehrern. Aber nur Johann Wolfgang durfte auf die weiterführende Universität, als er das Alter erreichte. Cornelia indessen wurde zu einer ungeliebten Ehe gezwungen, die sie mit 26 Jahren bei der Geburt des 2. Kindes durch Tod beendete. Lange Jahre tiefer Depression waren dem vorausgegangen.

 

Von ihren schriftlichen Arbeiten liegt nur noch das Tagebuch vor.

Alles weitere wurde von ihrem Bruder, mit dem sie einen regen Briefwechsel geführt hatte, verbrannt, weil er es zwar "für ein Mädchen ihres Alters recht gut" fand, jedoch für eine Schwester von Goethe unbefriedigend. Und weil er "die ästhetischen grünen Flammen im Kaminfeuer" so gerne ansah. Cornelia war ihrem Bruder innig zugetan, heißt es. Und Johann Wolfgang gab nichts an die Öffentlichkeit, das nicht vorher von Cornelia gelesen war. Es ist zu vermuten, dass Goethe nicht ein Ausrufezeichen gesetzt hat, ohne bei Cornelia darum nachzufragen. Es muß für ihn eine Katastrophe gewesen sein, als Cornelia ihn so früh verließ.

(Quelle: Sigrid Damm: Cornelia Goethe - eine Biographie des insel-Verlages; Tagebuch der Cornelia Goethe, erschienen im KORE-Verlag; Johann Lenz - ein Freund von J.W. von Goethe - Biographie Sigrid Damm, insel-Verlag).

 

In der Vorbemerkung zu "Deutsche Dichterinnen vom 16. Jh. bis zur Gegenwart" führt die Autorin Gisela Brinker-Gabler aus, daß die Auswahl `subjektiv´ ist, `weil anstelle des Majoritätsbeschlusses, wie ihn Literaturgeschichte darstellt, die unmittelbar persönliche Beziehung auf den Gegenstand notwendig war. Eine männlich dominierte Gesellschaft hat keine geschlechtsneutrale Literaturgeschichte, -kritik und -wissenschaft. Sie sichert ihre Interessen auch mittels literarischer Wichtigkeits- und Rangvorstellungen. Ihrem Literaturkanon und den Kriterien, die den Zugang dazu ermöglichen, ist zunächst zu mißtrauen´.

 

Die Autorin führt weiter aus, daß `viele Gedichte ausgesprochen feministisch´ sind, `sofern darunter der Anspruch der Frau auf volles Menschenrecht und Selbstdefinition im weiteren Sinne verstanden wird.´

Zur Hauptsache hat die Autorin sich der Lyrik von Frauen aus diesen Jahrhunderten angenommen, und hat den Gedichten eine Kurzbiographie vorangestellt, weil die Dichterinnen in den Geschichtsbüchern kaum Erwähnung fanden.

(Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Fischer-Verlag - Die Frau in der Gesellschaft).

 

Der Mann ist nicht bloß der Mann seiner Frau,

er ist auch ein Bürger des Staates;

die Frau hingegen ist nichts,

als die Frau ihres Mannes.

Heinrich von Kleist,

Brief an Wilhelmine Zenge (Mai 1800).

 

Herr von Kleist stand mit dieser Meinung wahrlich nicht allein. Er befand sich in bester Gesellschaft mit seinen Zeitgenossen, die auch das Recht auf ihrer Seite hatten. Denn eine Frau mußte in erster Linie "kluge Männer verstehen" (Zitat Dr. Goethe). Und sein Zeitgenosse Friedrich von Schiller ließ die "züchtige Hausfrau" in seinem Lied von der Glocke walten. Das Patriarchat - seit etwa 3000 Jahren in Vorherrschaft - ließ es nicht zu, dass Frauen sich laut und evtuell sogar noch kritisch äußerten.

 

"O, welche schwere Verdammnis, die angeschafften Flügel nicht bewegen zu können!" klagte Karoline von Günderode (1780-1806 - auch nur 26 Jahre alt geworden). Immerhin hatte sie es geschafft, ein Lyrikbändchen zwei Jahre vor ihrem Tod zu veröffentlichen. Clemens Brentano, der heute in nahezu jeder Lyriksammlung vertreten ist, bestaunte ihr Talent im Jahre 1804, als er las:

 

"Wie die Bienen will ich schwärmen,

mich an Traubenglut berauschen

in der Lilie Weiß mich kühlen

Ruhen in der Nacht der Büsche."

 

Welche frevelhaften Gedanken einer Frau, die züchtig ihrem Manne dienen soll, so sie verheiratet ist. So ist Karoline von Günderode gezwungen, ihre Gedichte unter einem Pseudonym "Tian" zu veröffentlichen. Sie konnte auf Dauer mit dem Zwiespalt, der in ihr wohnte, nicht leben: Ihr Geist suchte nach Abenteuern, die in der damaligen Zeit der Männerwelt vorbehalten waren. Die Reisen, die die männlichen Poeten vornehmen durften, konnte sie nur in ihrer Phantasie vollziehen. Als sich ihr Geliebter erstens von ihr trennte und zweitens verhinderte, daß ein weiterer Gedichtband erscheinen konnte, nahm sie sich mit nur 26 Jahren das Leben.

(Auszug aus "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!" - von Norgard Kohlhagen http://www.kohlhagen.de , erschienen im Verlag Luchterhand).

 

Eine ganz erstaunliche Schriftstellerin ihrer Zeit war George Eliot, die mit bürgerlichem Namen Mary Anne Evans hieß und von 1819 bis 1880 in England lebte. Auch sie nahm den Männernamen George an, weil nur so die Chance bestand, Literatur zu veröffentlichen. Sie muß nach dem Tod der Mutter dem Vater den Haushalt führen, eineAufgabe, die von keinem ihrer männlichen Zeitgenossen verlangt worden wäre. Auch George Eliots Werke wären vermutlich nicht mehr vorhanden, hätte sie unter dem Namen Mary Anne Evans geschrieben. Ihr Pseudonym hat sie im übrigen nicht selbst aufgedeckt. Ein Freund besorgte dies.

 

George Eliot hatte jedoch auch unter ihren schriftstellernden Zeitgenossinnen nicht nur wohlgesonnene. Ihr wurde vorgehalten, daß sie den wirklichen Problemen nicht ausgesetzt sei. Sie mußte, nachdem sie in George Lewes, einem Naturwissenschaftler, einen guten Freund, Manager und Berater gefunden hatte, keine vom Schreiben abhaltende Hausarbeit mehr machen und hatte sogar jemanden, der für sie das Geschäftliche regelte.

So verfaßte die in Amerika geborene Verfasserin Elizabeth Ronis einen Roman mit dem Titel "George Mandevilles Husband", in dem sie schrieb:

"Ja, ja, alle Frauen sagen George Eliot und denken, das sei ein unschlagbares Argument. Als ob das Beispiel einer Frau (die übrigens zu dreiviertel ein Mann war) mehr erreichen könnte, als zu enthüllen, wie armselig ihre Position wirklich ist...Sie war unnormal... Lies ihre Briefe , ihre Tagebücher. Beschäftigte dich mit ihrem Leben, wie es wirklich war: Sie war eine arme, belastete Kreatur, mit der wir eher Mitleid haben sollten, statt sie hochzujubeln als Beispiel und Entschuldigung."

 

George Eliot war schon zu Lebzeiten eine Legende. Oft verwünschte sie ihren "Ruhm". Ihre Anerkennung als Schriftstellerin fiel ihr nicht in den Schoß - sie war hart erarbeitet ("Sie schreiben wie ein Mann, Madam!" - Norgard Kohlhagen, Luchterhand). Der Roman "Die Mühle am Floss" ist bei Reclam zu haben. Bei dtv Manesse ihr Roman: Silas Marner - beides lesenswert für Menschen, die sich auch für das Drumherum des beginnenden 19. Jahrhunderts interessieren.

 

Diese kleine Auswahl mag das Interesse an Frauenliteratur der letzten Jahrhunderte wecken. Es ist nicht möglich, sie alle aufzuzählen, die gleichrangig neben den großen Dichtern und Denkern gelebt haben. Von denen wir in der Schule zumindest nichts gehört haben. Wie gerne hätte ich neben Schillers "Lied von der Glocke" die "Durchwachte Nacht" von Annette von Droste-Hülshoff gelernt. Dabei gehört sie zu den namentlich immerhin bekannteren ihrer Zeit (1797-1848).

Und es gab auch zu der Zeit Frauen, die ihre Feder gespitzt einsetzen konnten. Deshalb will ich folgendes Gedicht nicht vorenthalten. Es stammt aus der Feder von Christiane Mariana von Ziegler (1695-1760) und zeigt auf, daß auch die Frauen der vorigen Jahrhunderte durchaus schon wußten, mit wem sie es zu tun hatten.

 

Das männliche Geschlechte,

im Namen einiger Frauenzimmer besungen

(Die originale Schreibweise wurde übernommen - Deutsche Dichterinnen, Fischer-Verlag/Die Frau in der Gesellschaft)

 

Du weltgespriesenes Geschlechte,

Du in dich selbst verliebte Schar,

Prahlst allzu oft mit deinem Rechte,

das Adams erster Vorzug war.

Doch soll ich deinen Werth besingen,

der dir auch wirklich zugehört:

so wird mein Lied ganz anders klingen,

als das, womit man dich verehrt.

 

Ihr rühmt das günstige Geschicke,

das euch zu ganzen Menschen macht;

und wißt in einem Augenblicke,

worauf wir nimmermehr gedacht.

Allein; wenn wir euch recht betrachten,

so seyd ihr schwächer als ein Weib,

ihr müßt oft unsre Klugheit pachten,

noch weiter als zum Zeitvertreib.

 

Kommt her, und tretet vor den Spiegel:

Und sprechet selbst, wie seht ihr aus?

Der Bär, der Löwe, Luchs und Igel

sieht bey euch überall heraus.

Vergebt, ich muß die Namen nennen,

wodurch man eure Sitten zeigt.

Ihr mögt euch selber wohl nicht kennen,

weil man von euren Fehlern schweigt

 

Die, welche sich nur selbst erheben,

die gerne groß und vornehm sind,

nach allen Ehrenämtern streben,

da doch den Kopf nichts füllt als Wind:

Die keine Wissenschaften kennen,

und dringen sich in Würden ein,

die kann man wohl mit Namen nennen,

daß sie der Thorheit Kinder seyn.

 

Die Männer müssen doch gestehen,

daß sie wie wir, auch Menschen sind.

Daß sie auch auf zwei Beinen gehen;

und daß sich manche Schwachheit findt.

Sie trinken, schlafen, essen, wachen.

Nur dieses ist der Unterscheid,

sie bleiben Herr in allen Sachen,

Und was wir thun, heißt Schuldigkeit.

 

Der Mann muß seine Frau ernähren,

die Kinder, und sein Hausgesind.

Er dient der Welt mit weisen Lehren,

so, wie sie vorgeschrieben sind.

Das Weib darf seinen Witz nicht zeigen:

Die Vorsicht hat es ausgedacht,

es soll in der Gemeine schweigen,

sonst würdet ihr oft ausgelacht.

 

Ihr klugen Männer schweigt nur stille:

Entdecket unsere Fehler nicht.

Denn es ist selbst nicht unser Wille,

daß euch die Schwachheit wiederspricht.

Trag eines nur des andern Mängel,

so habt ihr schon genug gethan,

denn Menschen sind fürwahr nicht Engel,

an denen man nichts tadeln kann.

 

Wer nun glaubt, für schreibende Frauen sei eine bessere Zeit angebrochen, irrt. Wenn auch die Universitäten heute eine satte Zahl von Studentinnen ausweisen, endet ihre Karriere immer noch häufig mit der Ehe, dem Fördern des Genies und Künstlers in Gestalt des Gatten. Das eigene Talent verkümmert. Wenn Frau großes Glück hat, wird es wieder erweckt, wenn die Kinder groß sind, der Mann seine Midlife-Crisis in Form einer halb so alten Geliebten entdeckt oder gänzlich verschwindet.

 

Während sie von ihm erzählt: Mein Mann ist Künstler, erklärt er seinen Freunden mit einem wohlwollenden Lächeln: Meine Frau malt, und gar nicht mal schlecht. Ausnahmen bestätigen die Regel.

 

Namen von Autorinnen findet frau auch heute hauptsächlich in der Kinder- und Jugend-Literatur (was beileibe nicht heißen soll, dass diese zu den unwichtigeren gehört, ganz im Gegenteil), in dem Genre Fantasie und in Biographien sowie Sachbüchern, die sich mit Familie und Leben befassen.

Und wenn eine Frau einen Bestseller schreibt, gibt es gewiss eine Schublade , in die sie gepackt wird. Marion Zimmer-Bradley (Avalon-Trilogie) wird niemals den Stellenwert eines Umberto Ecco (Das Focoultsche Pendel) erreichen, obwohl ihre Recherche für die Romane sehr viel genauer und historisch belegter war.

Studien-Aufsatz Hagen, 1996