Hollie-Pollie oder: Einsamsein ist doof
Die Geschichte vom gestohlenen Feuerstein
oder: Einsam sein ist doof
Ganz weit oben im Norden, wo es meistens sehr kalt ist und es fast immer schneit, gab es vor vielen hundert Jahren das kleine Dorf Hollie-Pollie. Darin wohnten kleine Leute, kleiner als du und ich. Das war eine fröhliche Gesellschaft. Am Tage fuhren sie gerne mit den Schlitten die Hügel herab und bauten Schneemänner. Und sie liebten es, sich abends an einem Feuer zu treffen, gemeinsam zu essen, sich Geschichten zu erzählen oder Lieder zu singen.
Später legten sie sich in ihre warmen Hütten und wachten erst auf, als die Krähen draußen schrieen und die Schnee-Enten schnatterten, weil sie hungrig waren. Das Feuer wurde gut bewacht, aber wenn es einmal ausging, konnten die kleinen Leute es mit dem Feuerstein wieder entzünden.
Der Feuerstein lag in einem geheimen Versteck und nur die Leute aus Hollie-Pollie wussten, wo der Stein war. Und das war wichtig, denn ohne den Feuerstein könnten sie das Feuer nicht wieder entzünden. Dann würden sie alle ganz furchtbar frieren und könnten nicht mehr gemeinsam am Feuer sitzen. Mal abgesehen von den Liedern und Geschichten am Feuer.
In der Nähe des Dorfes Hollie-Pollie wohnte ein Troll am Berghang in seiner Felsenhöhle. Obwohl er am ganzen Körper behaart war, fror es ihn oft, denn er besaß keinen Feuerstein und selbst wenn er einen gehabt hätte, so hätte er doch nicht gewusst, wie man damit Feuer macht. Groß war dieser Troll und – wie die meisten glaubten – auch gefährlich. Die kleinen Leute passten immer gut auf, damit der Troll sie nicht fing. Denn das glaubten die Leute auch: Der Troll fängt sie und dann isst er sie mit einem Haps auf. Aber das stimmte gar nicht, denn der Troll aß nur Tannenzapfen und nie etwas anderes. Doch solange man das nicht weiß, muss man eben auch vorsichtig sein, dachten sich die kleinen Leute von Hollie-Pollie.
Der Troll schlich sich manchmal abends runter zum Dorf und schaute den Leuten zu, wie sie sangen und erzählten und dann
wurde er ärgerlich. Also schlechte Laune hatte er sowieso meistens, das kann man verstehen, wenn man in einer Höhle wohnt, die immer kalt ist. Aber wenn er an so einem Abend wieder zugesehen
hatte, wie gut es die kleinen Leute hatten und wie fröhlich sie immer waren, war sein Ärger noch 100x so groß und er stapfte wütend zurück in seine Felsenhöhle.
'Es muss an dem Feuer liegen, dass die kleinen Leute immer so fröhlich sind', sagte sich der Troll, und er dachte weiter, dass es ihm so viel besser gehen würde, wenn er nur das Feuer hätte. Und dann grummelte
er noch Stunden lang vor sich hin, so wütend war er. Er schwor sich, dass er eines Tages das Feuer stehlen würde. Er brauchte nur einen der Kleinen zu fangen und ....
aber was genau er mit ihm machen würde, wusste er eigentlich nicht.
In diesen Tagen schneite es besonders viel und die kleinen Leute waren froh und glücklich. Und wenn jemand so froh und
glücklich ist, dann will er nicht immer an einen Troll denken, sondern nur einfach glücklich sein.
Am Himmel zogen die Schnee-Enten fröhlich schnatternd vorbei und unten fuhren die kleinen Leute aus Hollie-Pollie Schlitten. Bis in den späten Nachmittag. Der Lärm hatte den Troll geweckt und der
war müde aus seiner Höhle gekrochen.
Irgendwann wurde es ruhiger, das Tageslicht schwand und die kleinen Leute machten sich auf den Weg nach
Hause.
„Ja, schleicht euch nur“, rief der Troll, aber er rief es eher leise, denn er wollte nicht gesehen werden. Plötzlich sah er, dass einer von den kleinen Leuten trödelte und allein am Hügel
zurückblieb.
Da wurde der Troll aber wach! Keine Spur mehr von Müdigkeit. Er suchte mit den Augen einen Weg, wie er ungesehen zu dem kleinen Schlittenfahrer kommen könnte.
Und schon schlich er sich hinter den Bäumen an und stellte sich in den Weg, so dass der Kleine aus Hollie-Pollie nicht vorbei kam. Der Kleine erschrak, aber weil er höflich sein wollte, sagte er nur verängstigt: „Guten Abend, Herr Troll.“
Das hatte noch nie jemand zu dem Troll gesagt und deshalb war er erst ganz verunsichert, aber dann ließ er ein böses
Lachen hören.
„Deine Höflichkeit nützt dir gar nichts. Du kommst jetzt mit mir in meine Höhle.“
Er schleppte ihn mit und in der Höhle schaute er ihn sich genau an. Er wusste irgendwie nicht so genau, was er eigentlich mit ihm machen sollte. Schließlich hatte er noch nie einen aus
Hollie-Pollie in seiner Höhle gehabt. Er merkte aber, dass der Kleine Angst vor ihm hatte, denn er wusste eben auch nicht, was geschehen würde und das mit den Tannenzapfen wusste eben auch
keiner. Und wenn man von so einem Troll nicht viel weiß und deshalb schon Angst hat, bleibt man am besten ganz still und wartet ab, was geschehen würde.
„Nun bist du wohl nicht mehr höflich, was?“ fragte der Troll und meinte auch noch: „Nun weißt du wohl, wie es ist, ganz allein irgendwo zu sein.“ Und er hört nun gar nicht wieder auf, all das aufzuzählen, was er so vermisst. „Und nun frierst du wohl, aber hier ist kein Feuer. Und Lieder singe ich auch nicht.“
Der Kleine sagte erst nichts, dann wagte er es. „Du hast ja auch kein Feuer an, da musst du ja frieren.“
„Na, du bist ja ein ganz Kluger“, antwortete der Troll, „du bist so klug, du kannst mir bestimmt verraten, wie man Feuer
macht?“
„Klar kann ich
das“, antwortete der Kleine und seine Stimme zittert immer noch ein bisschen.
„Und wie?“ fragt der Troll
lauernd.
„Na, mit einem Feuerstein.“
Der Troll packte den Kleinen am Arm. „Und wo ist dieser Feuerstein?“
„Der ist in einem Geheimversteck.“
„Und gleich sagst du mir, wo euer Geheimversteck ist.“
„Das darf ich nicht“, sagte der Kleine.
„Wenn ich dich in den Arm zwicke, darfst du das
schon.“
Und schon zwickte er den Kleinen in den Arm.
Das tat weh, aber so richtig weh und der Kleine verriet nun das Versteck vom Feuerstein.
„Siehst du, geht doch. Und nun hole ich mir den Feuerstein.“
Und damit war er aus der Höhle raus. Der Kleine zögerte nicht lange und schlich sich ebenfalls raus, schaute und sah, dass
der Troll mit seinen langen Beinen schon fast im Dorf war. So schnell er konnte, lief er hinterher, aber er kam zu spät. Der Troll hatte den Feuerstein schon geholt und war schon wieder fort. Mit
dem Feuerstein.
Da wurden alle im Dorf traurig, aber zum Glück brannte das Feuer noch und wenn sie gut aufpassten, würde es auch nicht ausgehen.
Der Troll war inzwischen wieder in seiner Höhle angelangt und stand dort – in seinen großen Händen den wertvollen
Feuerstein der Kleinen Leute.
„Nun mach mir ein Feuer“, sagt er. Es passiert aber nichts. Er wiederholt es ein paar Male, wird dabei immer lauter. „Willst du mir wohl ein Feuer machen?“ schrie
der Troll und schüttelte den Stein. Er schüttelte ihn immer heftiger und schrie weiter, dass der blöde Stein ihm nun endlich ein Feuer machen solle. Zum Schluss warf er ihn gegen die Höhlenwand,
wo der Stein zwar ein paar Funken schlug, aber ein Feuer machte er nicht.
Der Troll setzte sich und fing an zu weinen, obwohl er ein so großer Troll war.
„Ach , ich armer Troll, nun
habe ich den Feuerstein, aber immer noch kein Feuer. Ich muss weiter frieren.“
Im Dorf saßen die Kleinen am Abend wie immer um das Feuer und waren weiterhin noch ganz fröhlich, sangen Lieder und
unterhielten sich – natürlich auch über den gestohlenen Feuerstein. Der Kleine, den der Troll in seine Höhle gebracht hatte, musste ihnen hundertmal erzählen, wie es beim Troll war und wie es in
der Höhle aussehe und und und...er erzählte auch, dass es beim Troll in der Höhle ganz kalt sei und der Troll ganz alleine in der Höhle wohne.
Der Troll oben in seiner Höhle hörte das Gelächter und die Lieder und wunderte sich: „Wieso können die immer
noch fröhliche Lieder singen, wenn ICH DOCH DEN FEUERSTEIN habe?“
Und wieso haben sie überhaupt noch Feuer? Er verstand es einfach nicht und dachte, der Kleine habe ihn betrogen.
Einige Tage geschah nichts. Das Feuer im Dorf wurde gut bewacht und brannte munter, der Troll schüttelte den Feuerstein, der ihm immer noch kein Feuer machen wollte und die Kleinen im Dorf waren
so lange fröhlich, bis eines Tages das Feuer ausging. Irgendwann passiert das eben.
Es schneite sehr und alles war zu Eis erstarrt. Weil kein Feuer mehr im Dorf brannte, wurde es sehr sehr kalt. Und die Kleinen aus Hollie-Pollie wurden traurig, weil sie sich nicht mehr abends am
Feuer treffen konnten.
Der Troll hatte schnell entdeckt, dass im Dorf kein Feuer mehr brannte. Und er freute sich.
„HA-ha-ha, nun wisst ihr, wie es ist - so ganz ohne Feuer. Da ist eure Fröhlichkeit schnell weg.“ Diese Worte rief er aber eher leise. Er merkte, dass seine Einsamkeit noch größer wurde, denn er hatte trotz allem immer gern zugehört, wenn die Dorfbewohner fröhliche Lieder sangen. Ja, er stellte fest, dass er ein Gefühl bekam, was man mit „ganz, ganz traurig“ beschreiben könnte. Er hatte sich so an das abendliche Singen der kleinen Leute von Hollie-Pollie gewöhnt, dass die Stille jetzt ganz furchtbar für ihn war.
Nach ein paar Tagen hatte er auch allen Spaß an dem blöden Feuerstein verloren. Was sollte er mit einem Stein, der ihm nicht gehorchte? Er beschloss, den Stein ins Dorf zurück zu bringen.
Er ging statt dessen mit großen Schritten runter zum Dorf. Jetzt, am Tage, waren die Dorfbewohner alle mit Alltagsdingen
beschäftigt und er hoffte, es würde ihn keiner sehen.
Aber da hatte er sich getäuscht. Von allen Seiten kamen die Kleinen und riefen und schrien und sahen ihn böse an. Sofort hatten sie entdeckt, dass er den Feuerstein bei sich trug.
„Ich bringe euch den Stein zurück, er taugt nichts. Ich habe ihn mehrfach aufgefordert, Feuer zu machen. Er ist sicher
kaputt. Er macht es nicht.“
Eine Weile waren alle ganz still. Aber dann fingen alle kleinen Leute an zu lachen.
Der Kleine aber, der vom Troll in die Höhle geschleppt worden war, sagte: „Lasst ihn in Ruhe. Das hat nichts mit
Dummheit zu tun. Wir werden ihm zeigen, wie man ein Feuer macht.“
Und so machten sie es. Sie gingen mit dem Troll zur Höhle und machten ihm ein schönes Feuer.
Der Troll schaute sehr verwundert zu und dachte 'der Feuermacher ist bestimmt der allerklügste' . Der Feuermacher stieg in seiner
Achtung um mindestens ein ganzes Hochhaus und das, obwohl er gar kein Hochhaus kannte.
„Siehst du, so
einfach geht das“, sagt der Feuermacher zum Troll.
Gleich am nächsten Tage der Troll aber wieder seine ganz ganz miese Laune zurück, so schlimm, wie vor der Zeit, als er
noch kein Feuer hatte. Er merkte, dass das Feuer allein ihn nicht glücklich machte. Es war niemand da, der ihm Geschichten erzählte oder der seinen Geschichten zuhörte. Er kannte zwar auch noch
keine, aber das könnte er ja ändern, wenn jemand zu Zuhören bei ihm wäre.
Ein paar Tage später fasste er einen Plan. Absichtlich ließ er sein Feuer ausgehen. Nun hielt es ihn nicht mehr in der Höhle, er rannte mit langen Schritten den Berg hinab zum Dorf und stellt
sich an den Dorfrand.
„Was gibt’s?“ fragt einer der kleinen Leute, die nun gar keine Angst mehr vor dem Troll haben.
„Mein Feuer ist aus“, antwortet der Troll.
„Sollen wir es dir wieder anmachen?“
Der Troll antwortet nicht sofort. Dann sagte er - und er nahm allen Mut zusammen -: „Das Feuer allein macht mich
nicht glücklich. Ich wäre viel glücklicher, wenn ich hier bei euch am Feuer sitzen dürfte. Ich höre so gern euren Geschichten zu und ,ja, auch den Liedern“ meint er nach einer kleinen Pause.
Die kleinen Leute schauen sich gegenseitig an. Ein Troll hier bei ihnen im Dorf?
Der Kleine, der mal in der Höhle gefangen war, sagte:
„Ich hätte nichts dagegen. Schließlich war ich auch
schon einmal zu Gast beim Troll.“
Und dann kommen noch andere und sagen, dass sie sich vorstellen können, den Troll hier zu haben und sich auch vorstellen können, mal bei ihm zu Gast zu sein.
Irgendwie finden das plötzlich alle gut. „Ist doch mal was anderes. Und wir hören vielleicht neue Geschichten
und lernen neue Lieder...“
Und dann gingen sie alle zum Feuer und setzten sich. Auch der Troll, der vier Plätze brauchte, weil er viel größer als die
Kleinen Leute war.
„Nur eines“, sagt der Feuermacher, „musst du versprechen: Du darfst den Feuerstein
NIE WIEDER stehlen.“
Das machte der Troll sofort.
Und so ist es noch heute in Hollie-Pollie. Mal ist der Troll bei ihnen zu Gast, mal sind sie in seiner Höhle. Und immer hören und erzählen sie Geschichten und singen Lieder.
Und wenn du mal zum Dorf Hollie-Pollie kommst, sei ganz leise. Dann kannst du es auch hören.